Brasilien – 1. Bericht von Susanne Barth

Ihr lieben,
Er ließ lange auf sich warten, doch hier ist er nun – mein erster Quartalsbericht nach vier Monaten und 1 Tag hier in Sao Paulo, Brasilien. Ic;h dachte ich lasse ihn so „auf den letzen Drücker“ kommen, denn das ist ja schließlich typisch brasilianisch.

Als ich am 10. August 2006 nach 12 Stunden Nachtflug völlig übermüdet hier in Sao Paulo ankam, wurde ich mit Brasilianischer Flagge, „abracos“ (=Umarmungen) und „beijos“(=Küssen) empfangen. Voller Aufregung wurde ich von meiner Gastfamilie (Jose, Raquell und Pedro, meinem „Neuseeländer-Oldie“ Matt, mit dem ich schon bevor meiner Ankunft Kontakt hatte, und einer ehemaligen deutschen Austauschschülerin Katrin und ihrem Bruder, die gerade zu Besuch in Brasilien waren) empfangen. Katrin und Matt haben mir in den ersten Tagen sehr geholfen mich einzufinden und Kontakte zu knüpfen.

Mit meiner ersten Gastfamilie de Lima Marin bin ich vollkommen zufrieden. Meine Eltern Jose (45) und Raquell (45) sind beide sehr herzlich und offen und ich habe mich von Anfang an zu Hause und willkommen gefühlt. Mit meinem Bruder Pedro (21) verstehe ich mich sehr gut. Wir sind auf einer Wellenlänge. Da er tagsüber arbeitet und danach die Abendkurse Sao Paulos bester Universität (USP) in der Studienrichtung „Internationale Beziehungen“ besucht, bekomme ich ihn leider nur selten zu Gesicht. 2002 war er als rotarischer Austauschschüler in Japan. Meine Schwester Gabriella (18) ist zurzeit zum Austausch in Ecuador. Ich habe sie bis jetzt noch nicht kennen gelernt, habe mich aber schon per Skype (Internet-Telefonie) mit ihr unterhalten. Bis jetzt habe ich die Familie noch nicht gewechselt, da es ein paar Koordinationsprobleme gab. Das Wechseln ist jetzt für Januar geplant, weil es dann wieder neue Gatsfamilien usw gibt. Als ich angekommen bin, hat neben mir auch Matt noch in dieser Familie gewohnt. Dadurch ist er einer meiner besten Freunde hier und er ist mir sehr ans Herz gewachsen.

Wir gehen auch zusammen in eine Schule – o Colegio Rio Branco. Diese Schule wurde von Rotary gegründet und ist deshalb hoch angesehen. Als rotarische Austauschschüler können wir diese Schule umsonst besuchen. Wir sind insgesamt sechs Austauschschüler an dieser Schule: Matthew – Neuseeland, Tanasha – Japan, Alex -United States, Adriana – Mexiko, Florian – DEUTSCHLAND und natürlich ich. Ich habe hier eine Schuluniform, worauf ich mich ja schon in Deutschland sehr gefreut hatte. Ich mag diese Uniform und sie besteht nicht, wie man sich das vorstellt, aus Rock und Bluse, sondern ähnelt eher einem Jogginganzug – sehr bequem. Das Schulsystem ist hier ein wenig anders als in Deutschland. Es gibt Unterricht am Morgen (07:20 – 12:30) und am Nachmittag (13:30 – 18:10). Außerdem haben wir freitags Labor- und Informatikunterricht. In den ersten drei Wochen bin ich nachmittags zur Schule gegangen und war mit allen anderen fünf Austauschschülern in einer Klasse. Es war vorauszusehen, dass das nicht funktionieren wird. Da während des Unterrichts sowieso eine allgemeine Unruhe herrscht, alle aufstehen und herumlaufen wie es ihnen gefällt, sich unterhalten, den Klassenraum verlassen und eigentlich alles das tun was nicht mit dem Unterrichtsstoff zu tun hat, war es mit sechs Austauschschülern, die sehr kommunikativ sind, für die Lehrer kaum zum Aushalten. Vor allem habe ich in dieser Zeit vorrangig englisch und mit Florian natürlich deutsch geredet, was meinem Portugiesisch nicht gut getan hat. Und so habe ich mich nach diesen drei Wochen dann in einer der am Morgen lernenden Klassen wieder gefunden – 2U5. Anfangs war ich so enttäuscht und traurig, weil ich angefangen hatte Freunde zu finden und mich einzuleben. Im Nachhinein ist es das Beste was mir hätte passieren können, denn erstens lerne ich schneller Portugiesisch zu sprechen und zweitens habe ich in dieser Klasse so gute Freunde gefunden. Unteren anderen Michelle; sie ist eine meiner besten Freunde hier.

Sprachprobleme habe ich eigentlich nicht. Das eigentlich bezieht sich darauf, dass ich vor meiner Ankunft kein Wort Portugiesisch sprach und ich mich deshalb immer mit meinem kläglichen Englisch durchgekämpft habe. Meine Gasteltern, und mein Bruder natürlich auch, sprechen Englisch, insofern hatte ich Glück. Und so habe ich habe ich in den letzten vier Monaten gelernt mich zu verständigen, zu verstehen wenn jemand mit mir spricht und auch zu erfassen um was es geht wenn sich Brasilianer untereinander unterhalten, auch wenn mir das immer noch sehr schwerfällt. Vor allem den Sinn der Gespräche zu erfassen wenn sich meine Klassenkameraden unterhalten, da sie viele Slangs und Redewendungen benutzen, die mir unbekannt sind aber es hoffentlich nicht bleiben. Am 19. Oktober hatten wir einen Portugiesischtest. Dieser war obligatorisch für alle 83 Austauschschüler von „Exprobrasil“ (mein Multidistrikt). Die 20 Personen mit dem besten Testergebnis gewannen eine Reise in die Stadt Ilhabella an den Strand und man glaubt es kaum, ich bin 14 von 63 (was mit den restlichen 20 Austauschschülern ist, weiß ich auch nicht). Ich war doch sehr stolz. Bis jetzt ließ die Reise aber noch auf sich warten.

Einen Tag nach meiner Ankunft war ich bei meinem ersten Rotary-Meeting. Die Treffen finden immer freitags um 12:30 statt. Das bedeutet für mich, dass ich direkt nach Schulschluss in das oberste Stockwerk meiner Schule gehe, wo sich neben mir fünf weitere Austauschschüler und geschätzte 300 Mitglieder einfinden. Mein Rotaryclub „Sao Paulo“ ist der größte Club Südamerikas und hat neben dem Youth Exchange Programm noch viele andere Projekte am laufen.

Zwei Wochen nach meiner Ankunft hatten wir ein „Orientation-Wochenende“ an diesem uns wichtige Dinge über den Austausch und die von Belobrasil organisierten Reisen, die wir während des Jahres machen können, gesagt wurden. Viele Sachen wurden wiederholt, die ich auch schon in Deutschland gehört hatte, wie zum Beispiel über den Kulturschock, das Zunehmen und solche Dinge. Außerdem lernte man all die anderen Austauschschüler kennen, was mir doch ein wenig Kopfschmerzen bereitete: all das Visitenkarten- und Pingetausche, neue Namen, drei Sprachen, so viele neue Gesichter (insgesamt 82 andere Austauschschüler, Leute von Rotex, Rotary). Es war einfach sehr international. Wir hatten ein tolles Wochenende zusammen und ich hatte das erste Mal Sonnenbrand. Außerdem dachte ich das erste Mal „Das ist Brasilien!“ und zwar als wir einmal nach dem Abendbrot angefangen haben zu Tanzen. Es gab zur Untermahlung des Essens Musik, die dafür eigentlich zu laut war, und ich weiß nicht warum aber auf einmal fingen alle an „Forro“ (ein typischer brasilianischer Tanz) oder einfach nach Lust und Laune zu tanzen. Das war einfach nur genial. Nach diesem Wochenende gab es noch viele weitere Events, die von Rotary oder Rotex organisiert waren.

Einen Tag waren wir mit Rotary zum Beispiel in „Holambra“. Das Gelände hat mich an die Expo2000 in Hannover erinnert. Der Unterschied bestand darin, dass sich in „Holambra“ alles um Blumen handelte. Man muss sich das wie eine kleines Dorf vorstellen mit kleinen H?uschen, vielen, unendlich vielen Blumen, Plätzen zum sitzen und essen und ganz vielen Holländern. Auf die Idee so etwas auf die Beine zu stellen kamen nämlich holländische Einwanderer vor 25 Jahren. Deshalb auch der Name. Und als wir Austauschschüler dem kleinen Stückchen Holland in Brasilien nun einen Besuch abgestattet haben, wurde das 25-jährige Jubiläum gefeiert und es gab einen großen Umzug bei dem wir mit unseren Flaggen und Blazern mitgelaufen sind. Am Ende gab es dann einen Regen aus Blütenblättern („Chuva da flor“) – traumhaftschön.

An einem von Rotex organisierten Wochenende haben wir samstags Sao Paulos Downtown unsicher gemacht, uns die Ursprünge der Stadt angeguckt, wo man doch, was ich nicht dachte, auch ein paar schöne alte und antike Bauten bewundern konnte. Wir waren auch in der „Bolsa do Brasil“ – der Börse von Sao Paulo. Ich habe zwar noch nie eine deutsche Börse besucht und habe so keine Vergleichsm?glichkeit aber diese hier fand ich klein und niedlich. übernachtet haben wir in einer Schule, in der gerade alles für ein am nächsten Tag stattfindendes Kinderfest vorbereitet war. Wir hatten uns auf die Klassenzimmer verteilt und inmitten der Dekoration geschlafen. Den Sonntag haben wir im „Hopi Hari“, dem größten Freizeitpark S?damerikas, verbracht. Dementsprechend war alles etwas teuer aber ich hatte eine tolle Zeit mit viel Nervenkitzel und Adrenalin. Das beste war, als ich mit meiner Lieblingsholländerin Lotte und dem Mexikaner Alberto wie an einer Art Pendel durch die Luft geflogen bin… I believe I can fly…

Im September und Oktober hatten wir viele verlängerte Wochenenden an denen ich ein paar Mal verreist bin. Vier Tage war ich mit meinen Eltern in Piracicaba. Das ist eine kleine Stadt mehr im Landesinneren von Sao Paulo, Staat. In dieser Stadt haben die beiden studiert und sich, ich glaube, auch kennen gelernt. Wir sind sozusagen auf alten Spuren gewandelt: sie haben mir gezeigt wo sie gewohnt haben, ausgegangen sind, usw. und wir haben ein wenig die Stadt erkundet. Einen Tag waren wir in einem Wasserpark, wo ich das absolute Highlight war weil ich deutsch bin und unglaublich weiß WAR. Der eigentliche Grund des Besuchs war aber das von der Universität organisierte „Churrasco“ (=Grillen), zu dem, zumindest hatte ich das Gefühl, wirklich alle Studenten, die die Uni jemals besucht haben, eingeladen waren… Ein „Churrasco“ XXL: es gab Unmengen an Fleisch, Bier, Eiskrem und Guaran? (der brasilianische Nationalsoftdrink aus der Frucht Guaran?). Es wurden viele Reden gehalten, viele Leute wiedergetroffen, sich unterhalten, gelacht und getrunken, …

Aufgrund des Unabhängigkeitstages in Brasilien hatte ich die Möglichkeit mit Adriana, einer sehr guten mexikanischen Freundin, die hier in meinem Stadtviertel wohnt, ihren Eltern und Freunden der Familie und zwei anderen Austauschschülerinnen (Ecuador, Türkei) in das Ferienhaus von Adrianas Gatseltern zu fahren. Es war riesig … sie hatten dort zwei pools, tausende Schlafräume, einen Tennisplatz, ganz viele Tiere, … zwei Familien kümmern sich um das Anwesen. Wir waren da von Allem – von der Zivilisation – abgeschnitten. Ich habe das sehr genossen. Wir haben immer lange geschlafen, waren baden, haben uns gesonnt (im Winter!!!), haben Tennis gespielt und es uns eben richtig gut gehen lassen. Am liebsten wöllte ich nichts anderes machen. =P

Normale Wochenenden verbringe ich natürlich anders. Ich treffe mich zum Beispiel mit Freunden im Park „Ibirapuera“ zum Rugby spielen, gucke mir Ausstellung an (Wir hatten vor kurzem eine Ausstellung „Deuses Gregos“, was soviel bedeutet wie „Griechische Götter“, in einer Uni nahe meiner Wohnung.), gehe mit meinem Gastbruder zu Konzerten von mehr oder weniger bekannten Bands, ich gehe einkaufen in einer der mindestens 40 Einkaufszentren in Sao Paulo(die Shoppingmall in Higienopolis, hier nahe meinem Haus, ist fast wie mein zweites zu Hause – ein Treffpunkt für alle Lebenslagen), bin zum „churrasco“ eingeladen, gehe mit meinen Eltern essen, sonntags gehe ich mit den „Aussies“, den Australiern und Matt in die Kirche (in der Kirche wird English gesprochen und wie soll ich sagen sie ist konfessionslos – eine Art Weltkirche), abends gehe ich oft aus in eine der nahe der größten Straße Sao Paulos, der Avenida Paulista, gelegenen Bars oder bin bei Geburtstagen meiner Freunde eingeladen. Es gibt einfach immer etwas zu tun. In der Woche gehe ich montags und mittwochs zur „Promenade“, meiner Tanzschule, und ab und zu zum joggen ins Fitnessstudio.

Was ich den vergangenen vier Monaten an Erkenntnissen entnehmen kann ist als erstes auf jeden Fall mein eigenes Land, meine Heimat, zu lieben und mehr zu schätzen. Das hatte ich vorher von einem befreundeten Austauschschüler schon einmal gehört aber nicht großartig für ernst genommen. Ich war als Deutsche nicht immer unbedingt sehr stolz auf mein Land oder konnte behaupten, dass ich es liebe. Doch jetzt wo man hier im Ausland in Brasilien bin und ein anderes Land, eine andere Kultur kennen lerne, gibt es tausende Kleinigkeiten, die ich vermisse oder auf die ich jetzt sehr stolz bin, die ich in Deutschland für selbstverständlich gehalten und auf die ich keinen besonderen Wert gelegt habe. Was mir im Moment als erstes einfällt, ist die Vorweihnachtszeit. Ich würde lügen, würde ich behaupten, dass ich die ganzen stressigen Weihnachtsfeiern während der Dezemberwochen geliebt habe. Doch jetzt würde ich viel dafür geben. Und ihr könnt euch nicht vorstellen wie gerne ich jetzt wo ich hier von der Sonne braungebrannt werde, gerne frierend mit Glühwein und gebrannten Mandeln auf dem Weihnachtsmarkt in Königsbrück oder Dresden stehen würde. Eine andere Sache, die ich zu Hause oft als anstrengend und nervend empfunden habe, weil ich ein Mensch des „Zuspätkommens“ und des Chaos bin, ist die Organisation, Durchgeplantheit und Pünktlichkeit in Deutschland. Doch selbst das vermisse ich ab und zu wenn ich „mir die Beine in den Bauch stehe“ und, unwissend auf was, warte. Doch es gibt natürlich nicht nur negative Aspekte bzw. Sachen, die ich vermisse. Zum Beispiel habe ich gelernt, dass das Leben nicht immer planmäßig verläuft und dass sich Sachen von einem auf den anderen Moment ändern können. Diese Spontaneität finde ich gut, nach dem Motto „Vamos ver!!“ (= „Das werden wir sehen“) zu leben und auch mal Sachen auf sich zukommen zu lassen. Außerdem ergeben sich daraus manchmal tolle Möglichkeiten, die man unbedingt ergreifen sollte. So, ich denke das war genug Philosophie.

Um meinen Quartalsbericht no 1 abzuschließen bedanke ich mich natürlich bei meiner Familie, ein großes Dankeschön an Rotary (und besonders natürlich an den Distrikt 1880), dass sie mir das Alles ermöglicht haben.

Bis zum nächsten Mal.
Fühlt euch gedrückt von eurer Susanne

by Susanne Barth

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