Ecuador – 1. Bericht von Johannes

Lieber Rotary Club Leipzig-Brühl,
lieber Rüdiger Grimm,
liebe Leser,

Fast pünktlich zum 22. November, genau drei Monate nach meinem Abflug, kommt hier nun mein erster Quartalsbericht. Um es schon einmal vorweg zu nehmen: Mir geht es super gut. Meine Familie ist ein Traum, die Menschen sind richtig nett und auch sonst ist alles einfach nur schön! Danke, das Sie mir diesen Austausch ermöglicht haben!

Wo ich lebe ich eigentlich?

Ecuador ist ein kleiner Andenstaat in Südamerika, der ungefähr so groß ist wie Ostdeutschland. Man unterteilt das Land in Oriente (Urwald), Costa (Küste), die Galápagosinseln und Sierra (Gebirge). In letzterer liegt meine Heimatstadt Riobamba, genau im geografischen Mittelpunkt des Landes, nur einen Katzensprung vom höchsten Berg Ecuadors, dem Chimborazo, entfernt. Riobamba liegt etwa 2750 Meter hoch, da geht schon beim einfachen Treppensteigen schnell mal die Puste aus. Insgesamt leben hier etwa 120.000 Menschen. Keine Riesenstadt wie Quito mit seinen 1,8 Millionen Einwohnern, doch es gibt eigentlich alles was man sich so wünscht, außer ein Kino. Des weiteren ist alles sehr nah und gut erreichbar. Vieles ist hier deutlich billiger als in den großen Städten Ecuadors. Eine Fahrt mit dem Taxi kostet in Riobamba nur selten mehr als einen Dollar.
Mein rosarotes Haus liegt etwas außerhalb der City, aber trotzdem nur 15 Minuten vom Zentrum entfernt auf einem kleinen Hügel. Es ist wirklich riesengroß. Außer meinen Gasteltern und meinen beiden Schwestern leben noch die Großmutter hier sowie Angel mit seiner Familie. Er wurde mit neun Monaten als Waise von der Großmutter adoptiert. Heute ist er 40 Jahre alt und hat eine kleine Hühnerzucht auf dem Grundstück. Seine beiden kleinen Söhne fahren jeden Tag mit mir zur Schule.
Neben dem Grundstück leben unsere fünf Pferde. Am Anfang hatte ich schon totalen Respekt vor den Vierbeinern. Aber inzwischen macht mir das Reiten echt Spaß. In Deutschland werde ich das bestimmt vermissen. Leider reicht die Zeit zum Reiten nur an den Wochenenden. Vor dem Haus befindet sich noch ein eigener kleiner Fußballplatz, auf dem aber nie gespielt wird. Nicht zu vergessen das BBQ-Häuschen, dass für gut 50 Leute Platz bietet. Alles in allem ein gigantisches Anwesen, auf dem man sich durchaus verlaufen kann!
Wer ins Haus reinkommt, steht gleich im Wohnbereich. Die Couch-Ecke ist für die ganze Familie konzipiert und in der Mitte des Zimmers könnte man Fußball spielen. Gemütlichkeit kommt da erst einmal nicht so richtig auf. Dafür ist mein Zimmer so richtig schön. Aus dem einen Fenster habe ich einen fantastischen Blick über die ganze Stadt und aus dem anderen sehe ich den Chimborazo, wenn er nicht gerade von Wolken bedeckt ist. Ein eigenes Bad hab ich auch gleich noch nebenan. Leider sind die Möbel sehr dunkel und viel zu groß. Außerdem ist die Decke etwas undicht, deshalb tropft es bei Regen ab und zu mal rein. Aber damit kann ich leben.

Wie ist meine Familie?

Mit meiner Familie bin ich glücklich. Dazu gehören meine Gastmutter Paty, ihr Mann Rodrigo und meine beiden Schwestern Andy (16) und Christi (15). Rodrigo arbeitet in zwei verschiedenen Krankenhäusern als Lungenarzt und auf der Intensivstation. Sein Arbeitstag dauert meistens mehr als zehn Stunden und manchmal muss er auch am Wochenende ins Krankenhaus. Sogar mitten in der Nacht wecken sie ihn oft bei Notfällen. Paty dagegen ist fast den ganzen Tag zu Hause. Sie kümmert sich um das Essen, die Kinder und was sonst noch so im Haus anfällt. Paty hat mir gerade am Anfang unglaublich viel geholfen, mich in der völlig neuen, fremden Welt zurecht zu finden. Auch jetzt ist sie die, die am meisten mit mir redet und zu der ich die beste Beziehung habe. Eben ein richtiger Mutterersatz.
Nicht ganz so gut läuft es mit den beiden Schwestern. Schon von Anfang an gibt es eine gewisse Distanz zwischen uns, wir haben nie viel geredet und auch sonst nicht viel zusammen gemacht. Die Gründe dafür sind nicht ganz leicht heraus zu finden. Ich denke zum einen liegt es daran, dass die beiden ihren Bruder unglaublich vermissen und mich nicht als Ersatz akzeptieren können oder wollen. Des weiteren kann ich mir vorstellen, dass sie es nicht ganz leicht haben, ihre Mutter mit mir zu teilen. Auch unsere Charaktere sind völlig unterschiedlich. Mittlerweile verstehen wir uns schon viel besser. Ich mache eben immer ein bisschen mein eigenes Ding und habe meinen eigenen Freundeskreis. Ich denke, wenn wir nicht den ganzen Tag „aufeinander hocken“ geht alles etwas besser.
Außerdem wohnt der Rest der Familie sehr nah. Majo, eine Cousine, ist inzwischen eine meiner besten Freundinnen. Aber auch alle meine Tanten, Onkels, Omas, Opas und Neffen sind alle super nett.

Mit wem verbringe ich sonst so meine Zeit?
Oft bin ich natürlich mit den Leuten aus meiner Klasse zusammen. Die sind auch durchweg alle nett; einige besonders. Inzwischen kenne ich viele Schüler aus den anderen drei Parallelklassen. Oder besser gesagt, mich kennen alle, aber ich kenne nur eine Hand voll mit Namen. In einer anderen Klasse ist Michi aus Österreich, auch sie ist mit Rotary hier. Gerade am Anfang haben wir viel Zeit miteinander verbracht; ab und zu ist es ja auch mal schön, deutsch zu reden. Besonders weil wir ja beide in der gleichen Situation stecken. Wenn wir das Wochenende in Riobamba verbringen, gehen wir meistens zusammen mit Charlott aus Belgien und ecuadorianischen Freunden aus. Inzwischen kenne ich auch die Familien von Michi und Charlott, in die ich wahrscheinlich wechseln werde. Die sind ebenfalls sehr sympathisch und ich freue mich darauf.
Dann habe ich noch einige Freunde von der Universität, beim Sport und Leute, die ich auf den Fiestas treffe.

Wie ist meine Schule?

Ein Hauptbestandteil des Austauschjahres ist der Schulbesuch. Täglich werde ich von Paty mit dem Auto hingefahren. Montags und donnerstags geht es dann immer mit einem Appell auf dem Schulhof los. Da gibt es meistens eine kleine Andacht, wir sind ja eine katholische Schule. Manchmal geht es um den aktuellen Feiertag, die neuesten sportlichen Erfolge der Schulmannschaft oder es wird einfach die Nationalhymne gesungen. Danach geht’s es dann in die kleinen, kalten Klassenzimmer. Normalerweise wird bis gegen 14 Uhr „gepaukt“. Es gibt nur zwei kleine Pausen. Die Fächer sind den deutschen recht ähnlich, es fehlen nur so etwas wie Kunst oder Musik. Sehr unterschiedlich sind die Themeninhalte. Schade, das der Unterricht fast immer sehr theoretisch ist. Immer steht der Lehrer vorn und erklärt, die Schüler werden fast nie zu eigenem Denken animiert. Testate oder Arbeiten behandeln immer nur genau das Thema der vorherigen Stunden.
Ich schreibe viele Tests mit und werde auch benotet, aber ich bekomme am Ende kein Zeugnis. Ich werde ebenfalls nicht in die Quartalsnoten einberechnet. Dadurch fällt es mir manchmal etwas schwer, mich zu motivieren, immer die Hausaufgaben zu erledigen und zu lernen.
Die Lehrer sind sehr nett und werden eher als Freunde angesehen. Man begrüßt sich mit Handschlag und quatscht auch schon mal über die neuesten Ereignisse. So ist der Lehrer zwar eine Respektsperson. Aber es ist viel mehr ein miteinander lernen und lehren als in Deutschland.

Und was mache ich am Nachmittag?

Von Anfang an wollte ich Sport machen. Schon damit ich nicht mit dem oft angekündigten Übergewicht nach Deutschland zurück kehre. Das hat sich anfänglich gar nicht so leicht gestaltet. Im ersten Monat bin ich ins Fitnessstudio gegangen. Das war auch mal ganz nett, zumal wir drei Austauschschüler uns dort sehr oft getroffen haben. Nach zwei Wochen hat es mich nur noch genervt, immer das gleiche zu machen. Aber vor allem hat es mich gestört, in dieser herrlichen Landschaft zu leben und dann in der stickigen „Muggibude“ meine Zeit zu verschwenden. Ich probierte mich beim Kampfsport und im Tanzkurs. War ebenfalls nicht das Gelbe vom Ei. Schließlich habe ich jetzt meinen Traumsport hier gefunden. Fahrrad fahren! Hier im lokalen, staatlich geförderten Sportclub gibt es zwei kleine Radsportgruppen. Eine für die drei wirklich schnellen und die andere für die beiden Mädels, die kleinen Jungs und mich. Meistens fahren wir zusammen los und trennen uns dann später. Der Traine
r fährt immer hinterher. Inzwischen kenne ich schon alle Dörfer aus der Umgebung. Die Landschaft ist echt spitzenmäßig und Verkehr ist hier, außerhalb Riobambas, ein Fremdwort…

Was macht Rotary hier?

Gleich in der ersten Woche wurden wir drei Austausschüler vom Jugendbeauftragten eingeladen. Das Treffen war dann eher ernüchternd. Eigentlich wurden wir gar nicht richtig begrüßt. Es ging nur um Regeln und das Taschengeld. Eine Woche später nahmen wir an einem normalen Rotary-Meeting teil. Das war zu diesem Zeitpunkt, gerade am Anfang des Austauschjahres, etwas kompliziert, weil ich noch nicht so viel Spanisch verstanden habe. Trotzdem konnte ich mich danach ganz nett mit einigen Rotariern unterhalten. Einen Monat später haben wir unsere Powerpoint-Präsentationen vorgestellt. Ich denke, dass wir uns ganz wacker mit unserem Spanisch durchgeschlagen haben. Ich war noch bei zwei weiteren Treffen, die für mich als Schüler nicht ganz so interessant waren.
Weiterhin gab es schon eine eine viertägige Reise mit Rotary an den Strand in die Provinz Manabi. Schade nur, das wir zwölf Stunden mit dem Bus hin und zurück fahren mussten, dann aber nur so kurze Zeit dort waren. Trotzdem war es klasse, alle 125 Austauschschüler in Ecuador kennen zu lernen.

Mein Fazit der ersten drei Monate

Alles in allem bin ich wirklich glücklich mit meinem Auslandsjahr. Natürlich gibt es immer kleinere Schwierigkeiten zu bewältigen und manchmal packt mich doch schon das Heimweh. Aber das sind eben auch Erfahrungen, die nicht immer unbedingt schlecht sein müssen.

Liebe Grüße vom anderen Ende der Welt,

Euer Johannes

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