Argentinien – 2. Bericht von Maria-Caroline

Lieber Rotary-Club Riesa-Elbland,

Ich war heut nicht in der Schule, weil wir bis letzte Nacht um 2 auf einem Rotary-Meeting in Cordóba waren. Da kann ich wenigstens was Sinnvolles machen und mal wieder ein bisschen was von mir hören lassen. Ist schliesslich schon eine ganze Weile her.

Also, ich glaub ich muss einmal vom Punkt „Null“ anfangen zu erzählen, denn es hat sich fast alles komplett um 180º geändert.

Ich bin immer noch in Argentinien, immer noch glücklich wie ein Honigkuchenpferd (mir bleibt bloss nicht mehr so viel Zeit), aber nicht mehr in Jesús María, sondern um die 5km entfernt, in der Colonia Caroya. Wie es dazu kam?

Ich habe in meinem letzten Bericht sicherlich geschrieben, dass ich drum und dran war, zu meinen 3 Brüdern zu ziehen. Das hab ich auch gemacht. Aber irgendwie stand das von Anfang an unter einem nicht so gutem Stern. Die Mutter, Mechi, konnte mich nicht so gut leiden, weil ich mich mit ihren 3 Söhnen so prächtig verstanden hab und in ihre geordnete Administrationswelt (sie ist Lehrerin für Administration und Wirtschaft) zu viel Trubel gebracht hab. Ich sollte ja eigentlich am 4. Februar tauschen, aber das hat sich dann wegen Kleinigkeiten, die meine liebe zukünftige Gastmama verursacht hat, immer wieder verschoben. Ich hab sie sogar gefragt, ob sie es überhaupt will, und sie meinte „Si si, kein Problem, alles gut.“ So wie die Argentinier halt sind…

Gut, geendet ist es im Desaster, weniger für mich, als für die Jungs. Nach 2 Wochen musste ich wieder umziehen- ohne Erklärung der Mutter, ohne alles. Die Nacht darauf war der Horror für mich. Ich hatte keinen blassen Schimmer, warum und wieso und was ich der Familie getan hab, dass die mich von einen auf den anderen Tag so mies behandeln. Ich meine, ich hab mich dort nicht 100% wohl gefühlt, da meine Mama wirklich abnormal ordentlich und korrekt mit allem ist. Wenn ich genau überlege, war die Mehrheit unserer Konversationen auf „Mach das Licht aus, trockne die Teller ab und geh den Hund baden, beschränkt. Da bin glatt wieder in ein kleines Heimwehtief gerutscht. Ich musste noch weitere 3 Tage dort verbringen, mit gepackten Koffern, wartend auf das, was mich erwartet. Ich hatte ja überhaupt keine Ahnung, wo ich hinkomme und wie es weitergeht. Aber ich hab mal wieder so Glück mit allem gehabt. Meine Mama Lili und mein bester Freund Nico standen mit aller möglichen Hilfe hinter mir. Lili stand genau so verdutzt da wie ich, dass ihre Freundin Mercedes mich auf einmal so fallen lässt- mit Lili hatte ich kaum Probleme. Die Zeit, die ich mit ihr nach meinem Familien-Tief verbracht habe, hat mich noch mehr mit ihr zusammengeschweißt und ich kann echt behaupten, dass wir ein Mutter- Tochter- Verhältnis haben.

Wir haben später auch zusammen rausbekommen, warum sich Mechi so komisch verhalten hat: ihr grösster Sohn ist inzwischen in psychischer Betreuung zwecks Kokainkonsum in den vergangenen 3 Jahren. Der mittlere Sohn, einer meiner besten Freunde, hat auch gleich „gestanden“ und die Familie ist ein einziges Chaos. Nun ja… „Son cosas que pasan“, sagt man hier immer. Das sind halt Dinge, die immer wieder vorkommen, von denen man sich aber nicht aufhalten lassen sollte. Ich kann für meinen Bruder nur als Vertrauensperson da sein und ihm immer wieder ins Gewissen reden. Ich hab ja vollständig Nicos Unterstützung und die meiner Mama.

Ich persönlich hab hier auch meine Lektion gelernt: „Nichts ist so wie es scheint.“ Die Mentalität hier ist eben so, dass man immer seine Fassade für die Aussenwelt aufbaut: alles klar, alles bestens, aber am Ende häufen sich die Probleme ohne Lösung (da ja alles immer nicht so schlimm ist). Das ist etwas, was ich hier 100% nicht mitnehmen werde. Ich bin durch einige Tiefs gegangen, weil ich den Menschen die „Alles-klar“- Nummer geglaubt hab, und am Ende mächtig auf die Nase gefallen bin. Es ist echt nicht einfach, die Richtigen von den Falschen zu unterscheiden. Aber ich glaub, langsam hab ich das gefunden, was ich als „Freunde“ bezeichnen kann und ich bin zufriedener den je. Ich hoffe echt, dass wir auch nach meiner Reise in Kontakt bleiben, denn wir haben gerade in den ewig langen 3-Montats-Ferien fast täglich 24h zusammen verbracht und viele Momente, an die ich mich echt gern erinnere. All die Pokernächte, Truco-Partien, Poolparties, oder einfach nur Spieleabende, an denen wir 15 Mann zusammen saßen und über Argentinien und Deutschland diskutiert haben. An einem der Abende haben mir die Jungs einen Beutel mit $ 200,oo überreicht und haben mir gesagt, dass das das Startkapital für eine Reise nach Deutschland ist. Da kann ich meinen Eltern bloß gratulieren, wenn dann auf einmal in 1, 2 Jahren 10 Mann aus Argentinien im Türbogen stehen. 🙂

Gut, jetzt geht die Zeit in der Colonia los und ich kann nur schwärmen: ich hab das größte und schönste Haus der ganzen Stadt erwischt. Es gehört Lilis Bruder, Ariel, meinem neuen Gastpapa. Er ist meinem Papa verdammt ähnlich. Beschäftigt, eifersüchtig, ein bisschen mollig, aber mit herrlichem Sinn für Humor, wenn das Ambiente stimmt. Er ist Besitzer 2 Campos und einer von 3 Inhabern einer Dachziegelfabik. Meine Mama Leticia ist Steuerberaterin (in Argentinien zahlen so ug. 60% der Bevölkerung Steuern -.-), ist sehr hübsch (hat aber auch schon ein paar Schönheitskorrekturen hinter sich), konservativ, aber sie kümmert sich lieb um mich. Leti ist ziemlich neugierig: „Wohin gehst du? Wie lange? Warum? Mit wem? Wer ist das? Was arbeiten seine Eltern?… Jaja schon gut, geh halt…Portate bien (Benimm dich gut!)“ So arten kleine Erlaubnisanfragen in Ansprachen aus. 🙂 Find ich ja gut, dass die sich Sorgen machen…

Man kann sich jedenfalls gut vorstellen, dass die Familie finanziell gut gestellt ist (kaum vorzustellen, dass man Argentinien als 3. Welt- Land bezeichnet) . Es ist unglaublich: wir haben eine Putzfrau, die zusammen mit ihrer Tochter mit im Haus wohnt, einen Gärtner, der 2x die Woche Rasenmähen und Pflanzen schneiden kommt, einen Poolboy, extrem teure Truthähne, die den ganzen Tag im gefühlten 500km2-Garten rumlaufen. Ich hab mich hier vom 1. Tag an gut eingelebt. Meine 2 Schwestern, 7 und 13 Jahre alt, vergöttern mich. 🙂 Mit der Grössten teile ich mir ein Zimmer. (Das Bad, was zu dem Zimmer gehört, ist grösser, als mein Zimmer in Mechis Haus) und ich geniesse die vor-dem-ins-Bett-geh-Gespräche und die Umarmungen, die sie mir mehrmals am Tag gibt…

Seit dem Umzug sind jetzt 3 Wochen vergangen und ich bin rundum zufrieden. Gestern durfte ich das erste Mal eine kleine Poolparty schmeissen. Es kamen 8 Mann zu mir nach Hause und es wurde sooo lustig zum Schluss als meine Mama dann zu uns gestossen ist und sich die Jungs auf dem 1. Blick in sie verliebt haben. 🙂

Vorletztes Wochenende sind wir alle in die Sierras zur Argentinischen Rally gefahren. Ganz Jesús María, Colonia Caroya zusammen mitten in den Bergen. Man konnte schon in der Fernsehwerbung sehen, wie berühmt Rally in Argentinien ist und was es bedeutet. Für uns Jugendliche war es eine Nacht-Party. Meine Zeltgemeinschaft waren 50 Mann. Wir kamen Donnerstag 3.00 Uhr in brütender Hitze an. Schon da war die Hälfte der Leute voll mit Dreck…und Alkohol. Wir haben gegrillt, Asado gegessen, sind ein bisschen in den Bergen rumgewandert und haben die Zeit zusammen genossen… Nachts war dann die eigentlich Party. Überall standen gemietete LKWs mit Essen und Musik. Das war so göttlich, wenn man sich das vorstellt. 500 – 1000 Mann abgeschottet von Strom und Wasser, tanzend in der Strasse. Es wurde sehr kalt nachts, also haben wir in den 3 Mann-Zelten zu 5. bis 7. geschlafen und sind am nächsten Nachmittag aufgestanden, als schon die Sicherheitsfahrzeuge durch die Berge gerast sind. Dann kamen auch schon die Autos mit 200 Sachen die Berge runtergebrettert, auf die wir alle die Nacht vorher gefeiert haben. Dieses Jahr war das 1. Jahr seit 6, in dem es nicht geregnet hat, also sahen wir auch dementsprechend eingestaubt aus danach. 🙂 Das allerbeste kam aber erst noch. Da wir viele km vom nächsten Ort Ascochinga entfernt waren und wir kein Auto hatten, was uns hätte bringen können. Also sind wir, teilweise mit Kater, teilweise hundemüde 18 km über die Berge gewandert, weil auf der Strasse noch die Rennautos gedüst sind. Wir kamen halbtot am Bus an und uns erwartete noch eine nette Überraschung -.- . Wir sind im Bus 20 km gefahren. Ein normaler Alltagsbus hat um die 50 Sitze, aber der Busfahrer hat natürlich ein wenig mehr ökonomisch und ökologisch gedacht. Das Ende vom Lied war dann, dass 100 Mann auf- und übereinander im Bus sassen und sich nicht bewegen konnten. Wir haben den Busfahrer natürlich kräftig beschimpft und uns über ihn lustig gemacht, dass der Busfahrer kurzerhand einen Polizisten mit reingenommen hat. Das hat in schallendem Gelächter im ganzen Bus geendet,denn genau der Polizist hat die vorhergehende Nacht mit in unserem Zelt geschlafen, da der gute Mann Geburtstag hatte und sich wirklich kräftig besoffen hatte. Wir haben entschieden, dass wir ihn nicht zurück zu seinem Polizeizelt bringen und ihn vor der Kündigung gerettet. Der Polizist hat sich uns angeschlossen und der Busfahrer ist so schnell wie möglich nach Jesús María gerast, wo wir am Ende um 9 angekommen sind…. Genau DAS ist Argentinien!!!

Der Montag danach war KEINER (!) in der Schule… genau wie am Donnerstag und Freitag. Wie schön…

Letztes Wochenende waren meine Cousins und ich auf dem Campo. Das mit den Campos läuft so: die Felder hier in Argentinien gehören Privateigentümern, die sie entweder selbst bearbeiten, oder vermieten und bearbeiten lassen (so macht es meine Familie). Campo erinnert mich ein bisschen an zu Hause. Meine Cousins haben ein kleines Haus inmitten von Mais-, Soja- und anderen Kornfeldern. Außerdem haben wir dort Millionen von Kühen und Pferden stehen. Also haben wir uns am Freitagmorgen auf den Weg gemacht und sind nach La Dormida gefahren, um ein Wochenende gemeinsam in Natur zu verbringen. Wir waren 5 Mann; 2 Cousins, 2 Freunde und ich. Den Freitag haben wir eigentlich nur gearbeitet; Pflanzen geschnitten, Rasen gemäht, Kühe gezählt, Haus geputzt, gekocht… Ich war mit dem Kochen dran; ich sag bloss soviel: nicht mal der Hund wollte meine Ravioli essen. Ich habe keinen blassen Schimmer, was es war, aber es war ungeniessbar. Gut, mir wurde verziehen! 🙂 Wir haben nachts alle unter freiem Himmel „geschlafen“. Die Nächte sind noch (!) angenehm, also war das mit dem Sternschnuppen gucken und sich was wünschen noch möglich. … Samstag sind wir um 11.00 Uhr aufgestanden, die Sonne schien unerträglich heiss und der Geruch von Dengue lag in der Luft (das sind die kleinen fiesen Mosquitos, die unheilbare Krankheiten übertragen- jetzt im Ernst, hier ist die Plage ausgebrochen. In Jesús María, sagt man, sind schon zwei an der Krankheit gestorben) und ab gings aufs Pferd zum Tanque. Das ist die extrem dreckige Bewässerungsanlage vom Campo, aber wen interessierts; wir sind trotzdem reingesprungen. Nachmittags gab es wieder Asado (was sonst?) und Mate für alle. Abends, als die Sonne unterging, haben wir die Sachen gepackt und sind heimgefahren. Mit Muskelkater bis zum kleinsten Knöchel, Hitze und des Lebens glücklich. Auch DAS ist Argentinien.

Ich kann nur sagen, dass ich langsam in bisschen Muffensausen bekomme, da mein Geburtstag heranrückt und es fehlen noch genau 9 Wochenenden bis zu meiner Abreise. Ich hab wirklich sowas wie Angst, wie es dann in Deutschland weitergeht, ob ich dort überhaupt wieder klarkomme. Hier ist alles so verschieden, so anders…und ich pass hier im Allgemeinen gut hin. Ich fühl mich wie so ein kleines Chamäleon, was sich überall anpassen kann, aber sich trotzdem von den anderen unterscheidet. Ich hab noch immer meine deutschen Wurzeln (und Deutschland wird für mich immer das schönste Land der Welt bleiben) und Ansichten in mir, die sich vor allem in Sachen Bildungssystem und zur Sauberkeit von der Mehrheit hier unterscheiden, aber auch daran gewöhnt man sich schnell.

So weit… ich hab jetzt Spanischkurs in Jesus Maria.
Ich meld mich bald wieder,

Liebe Grüsse

Maria- Caroline Gierth aus Argentinien

zzz... ich im Schnappschuss

wieder ein Bild mit Nico

unser Pool

meine beste Freundin Mika

meine Schwestern

meine Jungs im Spiel

meine Freunde vom Basketball kurz vorm Spiel

mein Haus in der Colonia Caroya

mein Ex-Bruder Andres und ich auf meiner Poolparty.

ich in der Estancia De La Paz

alle meine Freunde zusammen

Unser Haus aufm Campo

Rotary Club Cordoba

Palmen

Lilis Haus in La Granja

Lilis Haus in La Granja 2

Lilis Haus in La Granja 3

Lilis Haus in Jesus Maria

Kurz nach dem Tagesritt

Kühe auf dem Campo

Ich mit meinem besten Freund Nico und seiner Mama

Asado mit Freunden

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