Argentinien – 1. Bericht von Friedrich

Lieber Rotary Club, lieber Rotex Club und alle anderen Personen, die dies lesen,

Bevor ich überhaupt anfange, kommt erstmal eine Entschuldigung, dass mein Bericht erst jetzt kommt. Das mag zwei Gründe haben:
Ich habe mich mittlerweile in Hernando, meiner Heimatstadt, so gut eingelebt, dass es sich recht schwer gestaltet, einen geeigneten Zeitpunkt für einen mehrseitigen Bericht zu finden oder ich bin einfach davon ausgegangen, dass man für einen Quartalsbericht 4 Monate Zeit hat und nicht 3. Folglich war ich ziemlich überrascht, als ich die Mail bekam, der Bericht sei seit Ende September überfällig gewesen. Ich bekam auch einen ziemlich großen Schreck.
Demzufolge bitte ich nochmals um Entschuldigung. Wie gesagt, ich habe mich sehr gut einlebt in meiner zweiten Heimat. Ich wohne in Hernando, einer Kleinstadt in Argentinien mit ungefähr 15.000 Einwohnern, die ungefähr zwei Stunden von der Provinzhauptstadt Córdoba entfernt liegt. Die Einwohnerzahl zeugt nun nicht unbedingt von einer Metropole mit massig Shops, Bars und anderen Attraktivitäten; dies war von Anfang an aber auch nicht wirklich mein Anspruch, sodass ich ohne Probleme die wahre Qualität dieser Stadt genießen kann: Die Menschen!
Es ist ja weithin bekannt, dass die Leute in Argentinien relativ gelassen, aber doch sehr offen und nett sind; und das zeigt sich gerade in so kleinen Städten wie Hernando hervorragend. Jeder kennt jeden, es ist fast wie eine große Familie. Man wird auf der Straße von jedem zweiten gegrüßt, ob man selbst ihn nun kennt oder nicht. Das mag sicher auch seine Nachteile haben, was Privatsphäre angeht, stört mich aber in den wenigsten Fällen. Doch manchmal denke ich mir schon „Woher weiß der/die das denn jetzt auf einmal?“.
Ich wohne bei meiner Gastmutter Laura Falco, die Besitzerin einer Apotheke ist und sehr viel arbeitet. Sie ist geschieden, hat aber noch Kontakt mit ihrem Mann, Gustavo Ferreyra. Dieser ist Sportlehrer und kennt so ziemlich jeden Menschen in Hernando. Sie haben zusammen drei Kinder, Gastón (16), Santiago (13) und Martín (5). Gastón ist im Moment in Sacramento, California und macht selbst ein Austauschjahr dort. Santi ist auf meiner Schule und Martín im Kindergarten, der sich ebenfalls in meiner Schule befindet.
Dass meine Gasteltern geschieden sind, bereitet natürlich einige Schwierigkeiten. Wie gesagt arbeitet meine Gastmutter recht viel und hat dadurch auch hin und wieder Probleme, alle ihre Aufgaben unter einen Hut zu bekommen. Zu der Scheidung kommen (mit mir) drei Kinder (von denen einer in der Pubertät ist und der andere jeden erschießen will), ein nerviger Hund, ein anscheinen ziemlich stressiger Job inklusive Arbeitsreisen und, dass ihr Sohn weg ist. Damit wäre ich beim nächsten Thema, was für mich ein kleines Problem darstellt: Laura, meine Gastmutter, kümmert sich fast ein wenig zu viel um mich. Das um Himmels Willen bitte nicht falsch verstehen, sie ist eine absolut liebenswürdige Person und ist immer um mein Wohl bemüht, übertreibt es aber manchmal ein wenig damit. Es geht damit los, wenn ich mich mit jemandem treffen will, kommen als erstes die Fragen, wo genau das ist, wer mich abholt und bringt (ich darf nicht allein nachts herumlaufen) und wann genau ich wiederkomme. Ich bin das einfach nicht gewohnt, ich wohne in Deutschland im Internat in Dresden und bin damit völlig frei von Anweisungen wann ich wieder da sein muss etc. Es ist doch wohl ein sehr großer Unterschied, ob man einem 13jährigem oder einem 17jährigem sagt, er solle um 11 wieder zu Hause sein.
Gut so sehr will ich mich gar nicht beschweren, ich habe mit Freunden Kontakt, deren Gasteltern noch viel strenger sind. Nur wenn meine Eltern mir sagen „Triff JEDEN, mach ALLES, geh ÜBERALL HIN und verpass NICHTS“ und meine Gastmutter mich hier nur einmal pro Woche richtig ausgehen lässt, taucht in meinem Kopf ein deutlicher Widerspruch auf.
Ein weiteres Problem, und das ist vielleicht das größte hier, ist (wie sollte es auch anders sein) die Schule. Mein Tag ist so voll, dass ich teilweise mehr Stress habe als in meiner Schule in Deutschland. Ich gehe um 11 in den Spanischkurs, danach zurück zum Haus zum Mittag essen und direkt danach in die Schule. Dann komme ich viertel neun aus der Schule wieder und dann ist der Tag vorbei. Dazu kommt, dass die Schüler hier in neun Stunden pro Tag einfach GARNICHTS machen! Es scheint mir einfach nur Zeitverschwendung, von viertel nach eins mit viertel nach acht in der Schule rumzuhocken und nichts zu machen. Denn ganz ehrlich, dieses Jahr wird mir nicht angerechnet; die Schule bringt mir nichts, denn ich habe den ganzen Stoff schon vor 3 Jahren gehabt. Man lernt beispielsweise das, was wir in Deutschland in einer Doppelstunde Mathe lernt, hier in drei Wochen. Ich kann Trigonometrieaufgaben schneller als meine Mathelehrerin lösen und besser Englisch sprechen als meine Englischlehrerin. Dazu kommt auch noch das Problem, dass ich noch nicht allzu viel verstehe, da die Lehrer nicht andauernd auf mich Rücksicht nehmen können und langsamer reden können (auch wenn ich gut dabei bin, dieses Problem weitestgehen zu beheben). Anfangs wusste ich teilweise nicht mal in welchem Fach wir gerade sind, da es hier auch eigenartige Fächer wie Seminar, Economie, Psychologie, Metologie und ähnliches gibt.
Ich habe meinen Rotaryclub schon mehrmals auf dieses Problem angesprochen, mein Präsident hat gesagt, er will es im Meeting ansprechen, aber seit mittlerweile 2 Monaten hat sich natürlich nichts getan. Ich finde es ehrlich gesagt sehr schade, mein Austauschjahr in einem unglaublich schäbigen Schulhaus zu verbringen, geht es in diesem Jahr doch viel eher um Kultur, das Land und verschiedene Orte als nur um die Schulbank.
Gut, an dieser Stelle höre ich mal auf zu meckern, denn eigentlich gefällt mir mein Austausch bis auf die Schule sehr gut. Ich habe unglaublich schnell Freunde gefunden, auch wenn hier KEINER englisch kann (ich bin auf dem besten Weg mein Spanisch zu verbessern), denn in einer kleinen Stadt ist man als männliche Blondine mit blauen Augen schon eine echte Sensation. Darauf folgen auch Dinge wie freier Eintritt in Discos, eingeladen werden etc., auch wenn ich das in den seltensten Fällen annehme. Doch es ist schon irgendwie ein seltsames Gefühl. Dazu kommt auch noch die „Größe“ mein Stadt, da hier jeder jeden kennt und „mein Freund auch dein Freund ist“.
Wenn ich schon bei Freunden bin, möchte ich besonders meinen Rotarypräsidenten Horacio Orecchia erwähnen, mit dem ich eine sehr enge Freundschaft aufbaut habe. Ich trinke sehr oft Mate (eine Art Tee, Nationalgetränk hier) mit ihm oder gehe zusammen mit seiner Nichte Florencia und ihm irgendwo was essen. Folglich habe ich wesentlich mehr Kontakt mit meinem Präsidenten denn mit meiner Counclerin Veronica. Diese ist allerdings auch sehr nett und hat einen 1 Jahr alten Sohn Francisco, der einfach der Hammer ist. Letztens erst hatte ich mein erstes Rotarytreffen mit dem siebenköpfigen Club (der um zwei Kleinkinder erweitert wurde) und habe gleich meine Präsentation (auf spanisch; ich bin ganz stolz auf mich 😉 ) gehalten. Alle waren sehr angetan und beeindruckt, was für eine Vielseitigkeit das verhältnismäßig kleine Deutschland bietet. Man kann also sicher sein, dass ich Deutschland nur in gutes Licht gestellt habe ;).

In diesem Moment bin auf meiner ersten Argentinienreise in den Süden (Puerto Madryn, El Calafate, Ushuaia, Bariloche und San Martin) und fühle mich, als hätte ich in diesen 17 Tagen die Zeit meines Lebens. Es ist einfach spitze mit so vielen verschiedenen Leuten aus so vielen verschiedenen Ländern zusammen zu sein. In habe hier so ein kleine Gruppe aus Amerikanern, Canadiern, Neu Seeländern, Deutschen und Australiern zu meinen Freunden gemacht, die alle so verschieden sind, dass sie schon wieder zusammen passen. Was für ein bunter Mix! Ich freue mich jetzt schon auf die gemeinsamen Treffen in Córdoba.
Natürlich ist es auch klasse, die Vielfalt von Argentinien kennen zu lernen. Alles ein wenig kleiner, schäbiger, als man es vom „perfekten Deutschland“ gewöhnt ist, wirkt es trotzdem total liebevoll und menschlich. Die Städte sind recht überschaubar und von purer Schönheit, die Leute hören auf zu reden, wenn man deutsch sprechend an ihnen vorbeiläuft und binden einen sofort in einen Smalltalk ein und natürlich ist für mich auch alles total billig, was das Mitbringen von Souvenirs und Erinnerungen für mich und andere äußerst einfach und spaßig gestaltet. Über die Natur braucht an natürlich nicht reden, die ist in Patagonien einfach bombastisch. Und wenn ich ganz ehrlich zu mir bin, hätte ich diesen Trip gern noch so um die 2 Monate weitergemacht, denn es macht einfach Spaß so viel Kulturen und Menschen auf einen Haufen zu haben.

Trotzdem kann ich mich absolut nicht beklagen; es kommt zwar immer Neid in mir auf, wenn andere Austauschschüler von 4 Stunden Schule pro Tag und dann Spaß mit Freunden sprechen, aber in einem Monat sind sowieso erstmal drei Monate lang Ferien und über die Zeit danach mach ich mir der argentinischen Lebensart angepasst erst in einiger Zeit Sorgen!

In diesem Sinne sende ich liebe Grüße und meinen herzlichen Dank an meinen Rotary Club, den gesamten Distrikt 1880 und alle anderen, die beteiligt waren, mir dieses schöne Jahr zu ermöglichen!

Friedrich Stenzel

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