Taiwan – 1. Bericht von Larissa

 

大家好,

Hallo aus Taiwan!

Vor nicht mal einem Jahr konnte ich mir nicht vorstellen, jemals in der Millionenmetropole Taipeh zu sein, geschweige denn diese als mein zu Hause zu bezeichnen. Vor nicht mal fünf Monaten bin ich zur Schule gegangen, weil ich es musste. Heute liebe ich meine Schule und bin fast ein bisschen traurig, wenn das Wochenende beginnt. Vor nicht mal 9 Wochen hätte ich nie daran gedacht, jemals Hühnerfüße zu essen, und heute zählt es zu meinem Lieblingssnack.

Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal in Taiwan wohnen würde und nun lebe ich bereits fast zwei Monate hier und bin glücklicher als je zuvor. Alles hier ist perfekt. Mein Leben hat sich um 180Grad gedreht, doch ich liebe es! Am 18.08. dachte ich die Welt würde untergehen: Ein Jahr ohne meine Familie? Ein Jahr ohne meine Freunde? Ein Jahr überhaupt ohne Alles, was normal zu sein scheint? Am 19.08. schaute ich ein bisschen verängstigt mit meinem Koffer in der Hand um die Ecke des Flughafens, wo eine rießiges Publikum kreischend und mit tausenden bunten Plakaten auf ihre neuen Gastkinder wartete, und dachte mir: Oh mein Gott, wo bin ich denn hier gelandet? Ist das noch der gleiche Planet? Doch da hilft nichts: Augen zu und durch. Dann traf ich das erste Mal auf meine Gastfamilie und mir wurde klar: Dies wird das beste Jahr meines Lebens!

Mittlerweile habe ich mich richtig eingelebt und kann sagen, dass es die beste Entscheidung war, die ich je hätte treffen können. Vielleicht hatte ich auch wirklich mehr Glück als Verstand, aber wenn ich mir heute vorstelle jetzt nicht in Taiwan sein zu können, würde eine Welt zusammenbrechen.  Am Anfang war es einfach unfassbar. Alles war so perfekt: Meine Gastfamilie hat alles für mich gemacht, in der Schule war ich eine Art Superstar, dem Alle unbedingt „Hallo“ sagen wollten und ich hatte einfach immer großen Spaß mit den andren Austauschschülern. Ich fühlte mich wie in einem Wunderland und dachte es könnte nicht besser laufen. Doch zu all meinem Erstaunen läuft es nun, wo ich auch endlich richtig angekommen bin und mein Alltag beginnt, von Tag zu Tag immer noch besser! Ich weiß nicht wie glücklich man werden kann und denke jeden Tag, der Nächste kann es nicht topen, doch mit jedem neuen Wort, was ich lerne, fühle ich mich ein Stück mehr, wie ein richtiger Taiwaner, verstehe ein Stück mehr von meinen Freunden und ihrer Kultur und bin ein Stück mehr verliebt in dieses unbeschreibliche Land. In meinen ersten drei Schulwochen hatte ich zwar Spaß mit den andren vier Austauschschülern meiner Schule, dürfte aber noch nicht in den normalen Unterricht, lernte keine Taiwaner kennen und in meinem Chinesischunterricht hatte ich auch kein Wort gelernt. Doch nach diesen drei Wochen, sahen die Lehrer ein, dass sie uns nicht ewig im Büro einsperren können und wir starteten unseren Schulalltag. Mit der Hsin-Tien Senior High School hatte ich mal wieder alles Glück der Welt gehabt. Es gibt eigentlich gar keine Regeln für uns Austauschschüler: wir dürfen, was wir wollen und müssen Nichts, was wir nicht wollen. Unsere Lehrer bringen uns immer kostenloses Essen, wir können unseren Stundenplan selbst wählen und auch jederzeit ändern, müssen unsere Schuluniform nicht korrekt tragen, müssen die „Nap-time“, in der alle Schüler 40min ihre Köpfe auf die Bank legen, nicht mitmachen und können auch einfach zuschauen, wie unsere Klassenkameraden das Schulgebäude reinigen. Zum Wunder aller Lehrer und Austauschschüler liebe ich meine Schule und insgesamt macht mir hier alles Spass. Sogar Chemie, Geschichte und Physik, in denen ich auf Chinesisch nun wirklich gar nichts verstehe, zählen hier zu meinen Lieblingsfächern. Manchmal denke ich, dass die Lehrer mich hassen könnten, weil ich eigentlich nur in ihrem Unterricht bin, um mit meinen Klassenkameraden zu plaudern, doch spätestens nach Unterrichtsende wird wieder klar: Nein, in Taiwan hasst mich keiner. Alle lieben mich, schon aus dem Grund, dass ich Ausländer bin. Seit dieser Woche denken alle Schüler, wie Lehrer meiner Schule, dass ich fließend und ohne Probleme chinesisch verstehe. Einige Klassenkameraden sahen, wie ich auf Chinesisch Zettel geschrieben hatte (das in Wahrheit meine Banknachbarin fast alles übersetzt und in Schriftzeichen aufgeschrieben hatte, und ich dies eigentlich nur mit viel Mühe abgeschrieben hatte, spielt dabei ja keine Rolle) und dies hatte sich schließlich wie ein Lauffeuer herumgesprochen. Wenn ich mit einem andren Austauschschüler meiner Schule durch den Gang laufe, und mir Lehrer oder Schüler etwas auf Chinesisch zurufen, schaut dieser jedesmal ganz erstaunt. Dass ich in Wahrheit meistens gar nichts verstehe und einfach hoffe, dass es keine Frage war, die mir gestellt wurde, ist dabei ja nicht so wichtig 😀 Zumindest hilft es mir nun sehr gut beim Lernen, wenn jeder zumindest probiert mir etwas auf Chinesisch zu sagen. Generell liebe ich diese Sprache und alleine die Tatsache, dass jedes Schriftzeichen irgendwie wie ein Smilie aussieht und das Wort für „schlafen“ und „Dumpling“ (mein Lieblingsessen) beim ersten Hören ziemlich gleich klingt, bereitet mir eine Menge Spaß beim Lernen. Auch wenn vermutlich nie Einer ein Wort von mir versteht, sagen mir doch immer alle, wie gut mein Chinesisch bereits ist und sind total glücklich, dass ich es versuche.

Nach der Schule erlauben mir meine Gasteltern jeden Tag bis 22Uhr Freunde zu treffen. Ich hatte in Deutschland gehört, dass einige Gastfamilien sehr streng sein können, doch ich habe mal wieder einen richtigen Glückstreffer gelandet. Wenn ich am Wochenende keine Freunde treffe, lassen sie sich immer etwas für mich einfallen. Sie gehen oft mit mir zum Tempel, erklären und feiern ihre Feste und reisen auch außerhalb von Taipeh um mir alle schönen Orte der Insel zu zeigen. Unter der Woche wollen sie eigentlich, dass ich mit Klassenkameraden oder Austauschschülern Abendbrot essen gehe, weil sie so nicht extra nach Hause kommen müssen. Eigentlich habe ich nur zwei Regeln in meiner Familie: 1. Schalte die Klimaanlage aus, wenn du nicht da bist und 2. Schreibe eine SMS, wenn du mit uns essen willst, dann kommen wir nach Hause, um dich abzuholen ;D

So bin ich in der ersten Zeit jeden Tag mit Klassenkameraden auf den Nachtmarkt gegangen. Ich weiß nicht so recht, wie ich den Nachtmarkt beschreiben kann und kann es nicht verstehen, warum es dies eigentlich nicht in Deutschland gibt. Es ist eine Art Weihnachtsmarkt, nur ohne Weihnachten, mit dem besten Essen dieser Welt, sehr günstigen Klamotten und einer Menge verrückter Sachen (wie Massagen mit Messern oder zahmen Tauben, die auf deinen Kopf springen). Also der perfekte Ort um Spaß zu haben und viel zu essen! Generell wird hier den ganzen Tag gegessen und irgendwie denkt und spricht auch jeder nur über Essen. Ich weiß noch genau, wie ich am ersten Tag mit Bauchschmerzen auf der Couch saß, weil ich viel zu viel gegessen hatte und nach 2h Pause dachte, ich fühle mich nun wieder wie nach einem guten deutschen Mittagessen, als mein Gastvater zu mir kam und meinte: „Time to eat!“. Oh mein Gott, schon wieder?! Doch nach spätestens der ersten Woche in Taiwan, sprach und dachte ich auch nur noch an Essen, und aß manchmal sogar mehr als mein Gastvater. Aber früher oder später holte mich dann doch die Realität ein, und während mein Geist zwar nur noch an das beste Essen dieser Welt dachte, wurde mein Körper immer dicker und schließlich fühlte ich mich nach einem Monat Daueressen nur noch unwohl. Da ich dennoch niemals auf das gute taiwanisches Essen verzichten könnte, starteten meine Klassenkameraden ein umfassendes Trainingsprogramm mit mir. Nun versuche ich an jedem „normalen“ Tag der Woche (also wenn ich nach der Schule nicht mit Freunden weggehe, aber dies ist eigentlich auch höchstens drei Mal in der Woche) mit ihnen Joggen zu gehen. So konnte ich schon nach kurzer Zeit gute neue Freundschaften schließen, fühle mich besser und bin zumindest dreimal die Woche vor 22Uhr zu Hause. Dann heißt es nur noch schnell Chinesisch lernen, meinen Freunden schreiben, dass sie sich wirklich keine Sorgen machen müssen: ich bin zu Hause angekommen und meinen Lieblingstee genießen. Schließlich geht wieder ein anstrengender Tag zu Ende und ich freue mich auf den Nächsten 😉

Beste Grüße aus Taiwan,

Larissa (羅玉莎)

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