Taiwan – erster Bericht von Juliette

Eigentlich sollte es ja nicht schwer sein drei Monate in einen Fließtext zusammen zu fassen und so einigen Leuten einen Überblick über meine bisherige Zeit hier zu geben, aber Fakt ist, es ist verdammt schwer. In diesen, eigentlich nicht mal, drei Monaten ist so viel passiert und ich habe so viel gesehen, dass es schwer ist den Punkt zu finden wo man anfängt und den wo man wieder aufhört ohne dabei einen halben Roman zu schreiben. Ich denke, ein Buch könnte man über dieses Jahr tatsächlich schreiben. Ich werde jetzt einfach mal von vorne, also Tag 1, anfangen.

 

 

Nach einem ewig langen Flug (meinem ersten Langstreckenflug) sind wir Austauschschüler aus Deutschland irgendwann in Taipei gelandet. Dort gab es dann den zweiten Abschied, denn hier haben sich zum ersten Mal unsere Wege getrennt bzw wir sind in kleineren Gruppen weitergezogen. Mit drei weiteren Austauschschülerinnen bin ich dann noch eine halbe Stunde weiter nach Kaohsiung geflogen. Dort haben uns unsere Familien, einige Rotarymitgliedern und Austauschschüler herzlich empfangen und es wurden auch gleich die ersten Fotos gemacht. (Fotos spielen hier eine unglaublich wichtige Rolle und für Menschen, die es eigentlich nicht mögen fotografiert zu werden (so wie ich zum Beispiel) ist es am einfachsten es einfach hinzunehmen, dass viel fotografiert wird). 

 

Der Moment in dem ich das erste Mal das Klima dort gespürt habe, war ein Schock. Als würde man gegen eine Wand laufen. Und es war heiß und schwül… Tja, das Klima hier ist so eine Sache.. Im Sommer ist es einfach unglaublich heiß und man spürt hier richtig wie stark die Sonne ist. Einen richtigen Regen habe ich bis vor wenigen Tagen und während einem einzigen Taifun nicht erlebt, allerdings hängt das wohl auch mit der Jahreszeit zusammen zu der ich angekommen bin. Im Winter (also die nächsten Monate) soll der Regen dann zunehmen. Das, was die Taiwaner bis dato als Regen bezeichnet haben, würde ich persönlich als eine Vorstufe der Nieselregens bezeichnen. Mittlerweile sind die Temperaturen allerdings deutlich gesunken und ich muss sagen, dass auch mein persönliches Temperaturempfinden sich verändert hat. 22° fühlen sich für mich kühl bis kalt an. Direkt nach dem heißen Sommer fand ich selbst 26° sehr kühl, mittlerweile hat es sich bei 22° eingependelt, allerdings brauche ich hier – anders als erwartet – genauso Herbstkleidung wie in Deutschland, sprich: lange Oberteile, Cardigans und Schals…die ich aber leider nicht eingepackt habe, also neu kaufen musste. Ich muss aber sagen, dass ich hier in Taiwan sehr gerne Kleidung einkaufe. In Deutschland habe ich das recht wenig gemacht, aber hier macht es mir einfach Spaß. Gar nicht unbedingt weil es so günstig ist (das ist es nämlich in der Regel nur, wenn die Qualität auch entsprechend schlecht ist), sondern einfach weil mir die Sachen hier gefallen.

 

Ich denke, es wird jetzt die ganze Zeit so sein, dass ich chronologisch anfange, aber dann immer wieder einen Abstecher zu bestimmten Themen mache.

 

Meine Gastfamilie ist dann mit mir zusammen in unser zuhause gefahren und als ich Kaohsiung und unsere Umgebung bzw. Wohnung das erste Mal gesehen habe, dachte ich mir einfach nur „Wie um Himmels willen soll ich hier 10 Monate leben??“ Mein erster Tag hier war denke ich mit der schwerste und bezüglich Heimweh bis jetzt auch der einzig schlimme. Als ich am ersten Abend meinen Koffer ausgepackt habe, musste ich mich immer wieder aufs Bett setzen und habe geweint. Habe überlegt warum genau ich das eigentlich machen wollte, ob Taiwan ein Fehler war, dass ich meine Familie und meinen Freund bei mir haben will, dass ich zurück will und mich dann aber alle für einen Versager halten würden, dass ich Rotary enttäuschen würde. Ja, all das ging mir durch den Kopf, aber dann habe ich mich Stück für Stück aus meinem Loch herausgekämpft. Noch am selben Abend, habe ich einen Text geschrieben (das mache ich in der Regel, wenn es mir schlecht geht und ich nach einer Lösung suche) und mir vorgenommen am nächsten Morgen mit meiner Gastmama zu reden und das habe ich getan. Ich weiß nicht wie meine erste Woche gewesen wäre, hätte ich das nicht gemacht, aber ich weiß, dass es sehr gut war das zu tun. Ich habe ihr erklärt, dass es mir schlecht geht und dass ich irgendetwas machen muss, mich erst mal ablenken muss. Die nächste Hürde für mich kam allerdings bereits direkt danach, denn meine Gastmama ist ziemlich bald wieder arbeiten gegangen. An meinem Ankunftstag selbst und dem Tag drauf war sie noch zuhause und wir haben auch etwas gemacht, aber an meinem dritten Tag ist sie dann wieder Arbeiten gegangen. Am Abend zuvor hat sie mir dann gesagt, dass ich am nächsten Tag etwas mit meinem Gastbruder, meinem Gastcousin und meiner Gastcousine machen werde. Dieser Moment war dann nochmal schwer für mich, denn ich musste mich wieder von der vertrautesten Person hier losmachen und mich auf jemand neuen einlassen. Das allerdings hat sich sehr gelohnt, wir hatten einen sehr schönen Tag! Die Tage darauf bis Sonntag habe ich dann jeden Tag etwas gemacht, Hauptsache raus und die Stadt sehen, und in dieser Zeit habe ich angefangen Kaohsiung zu lieben. Wenn ich jetzt darüber nachdenke, kann ich zwar nach wie vor nachvollziehen was mich dazu bewogen hat am ersten Tag so schockiert zu sein, aber mich stören diese Aspekte nicht mehr.

 

Ich lebe hier in der zweitgrößten Stadt Taiwans, die ca 2,5 Mio. Einwohner zählt, es ist laut, es riecht nach Abgasen, es ist dreckig, die Gerüche sind anfangs ungewohnt, die meisten Häuser sind Hochhäuser, alles wirkt unpersönlich… aber ich habe angefangen die schönen Dinge zu sehen: die Tatsache, dass es viel Grün zwischen all dem Grau gibt, den Love River und die Vielfalt  der Stadt in der ich lebe. Mit jedem Tag ging es mir besser, habe ich mich wohler gefühlt. Meine Dusche, die eigentlich in meinen Augen keine Dusche, sondern nur ein Duschkopf mit Schlauch und Hähnen mitten im Raum ist, hat mich nicht mehr gestört. Nach einer Woche Zeit anzukommen ging es dann in die Schule. Ich bin in meiner Schule bzw. Klasse nicht die einzige Austauschschülerin, sondern wir sind zu zweit. Michel, ein Brasilianer, der aber eigentlich japanische Wurzeln hat, und ich haben denselben Stundenplan und daher auch einen recht ähnlichen Freundeskreis. Er ist ein bisschen wie ein Bruder für mich hier und ich bin manchmal froh in dieser riesigen Schule jemanden zu haben mit dem ich mich fließend unterhalten kann und mit dem ich über Dinge reden kann, die passieren. Unsere Schule ist riesig! Ingesamt zählt die Schule ca. 6500 Schüler und ich einer Klasse sind immer ungefähr 50. Die Schule hier unterscheidet sich insofern von meiner in Deutschland, dass hier nicht alle (bis auf wenige Ausnahmen) dieselben Fächer haben, sondern es verschiedene Richtungen gibt. Michel und meine Basisklasse ist eine Computerklasse, d.h. fast alle Fächer, die sie haben, sind darauf ausgerichtet. Wir sind allerdings in vier verschiedenen Klasse, da unsere Schule uns eine Art Wunsch-Stundenplan zusammengestellt hat. Mittlerweile habe wir zwei Vormittage die Woche Kochen, zwei Vormittage Backen und einen Nachmittag Drinks Mixing/Kellnern. In unserer Basisklasse sind wir nach wie vor jeden Tag zum Mittagessen und Mittagsschlaf bzw. zweimal die Woche den Nachmittag über. Die zwei anderen Nachmittage sind wir  an einer anderen High School und lernen dort mit ein paar anderen Austauschschülern Chinesisch.

 

Anfangs habe ich mich in der Schule oft sehr einsam gefühlt, denn die Leute finden dich zwar interessant, aber richtige Freundschaften kommen nicht zustanden bzw die Sache mit der Sprache ist schon ein Problem, aber es wird besser und besser und ich finde immer mehr in die Klassengesellschaft hinein. So enge Freundschaften zwischen Mädchen wie wir sie in Deutschland pflegen und so wie ich sie auch kenne, habe ich hier bis jetzt noch nicht erlebt und mir fehlt das auch irgendwo. Meine Mitschüler sind zweimal die Woche bis 18:30 Uhr in der Schule, Abends/Nachts gehen viele noch in eine andere Schule, um zu lernen. Zeit haben sie wenn überhaupt nur an den Wochenenden und dieses sich mit einer Freundin in einem Cafe treffen oder zusammen im Park picknicken gehen gibt es hier einfach nicht. Es ist tatsächlich so, dass mir Dinge, die früher eigentlich vollkommen normal für mich waren, jetzt besonders erscheinen.

 

Nichts desto trotz war meine Zeit hier bis jetzt unglaublich und ich genieße jeden Tag! 

 

Nach den ersten paar Wochen hat sich unter der Woche auch langsam ein Alltag eingependelt. Schule bzw Chinesischunterricht, Dienstag und Donnerstag bin ich beim Sport, Mittwoch Abend beim Rotary Meeting. Samstag Vormittag habe ich drei Stunden Kalligraphie- und Malunterricht und muss während der Woche dann in irgendeiner Zeitlücke noch meine Hausaufgaben in Kalligraphie und Malen machen bzw hab natürlich auch immer Hausaufgaben aus dem Chinesischunterricht, die es zu erledigen gibt. An den Wochenenden (außer Samstag Morgen, abgesehen von wenigen Ausnahmen) mache ich dann in der Regel Ausflüge zusammen mit meinen Gasteltern oder wie vor kurzem auch mit meinem Rotary Club. Ich kenne mittlerweile schon recht viele Teile Kaohsiungs bzw viele Restaurants hier. Meine Ausflüge außerhalb haben mich bis jetzt nach Taichung, Tainan, Kenting, Pingtung und Taitung geführt. 

 

Kaohsiung ist in meinen Augen eine unglaublich vielfältige Stadt. Einerseits hat man Teile in denen es vor Geschäften, kleinen Imbissen und Menschen wimmelt bzw natürlich die Nachtmärkte (Ich wohne einen Katzensprung vom bekanntesten der Stadt entfernt), aber dann hat man andererseits auch Orte wie Chengching lake oder das Art District in der alten Hafengegend, an denen man vom Großstadtlärm und -gewusel nichts mitbekommt und vollkommen abschalten kann. In Taichung war ich schon sehr am Anfang zusammen mit meiner Gastmama. Wir haben dort eine Freundin von ihr mit wiederum deren Freundinnen aus Hongkong getroffen und haben den (Vor)mittag erst in den Bergen in einem „Monsterdorf“ (basierend) auf einer japanischen Sage verbracht und sind gegen Abend in die Stadt selbst gefahren. Tainan in eine sehr traditionelle Stadt in der man an vielen Ecken noch einen Blick auf das alte Taiwan erhaschen kann. Dort habe ich mit meiner Gastmama und Michel zusammen einen in Taiwan sehr bekannten Konfuziustempel und eine Festung mit einem Museum über die Geschichte Taiwans besichtigt. In Kenting waren wir als große internationale Familie, sprich mit meinen Gasteltern, Michel und Malu (sie kommt ebenfalls aus Brasilien). Den Großteil des Tages haben wir dort allerdings in einem Aquarium und nicht an den so beliebten Stränden verbracht, allerdings wird das mit den Stränden auf jeden Fall noch nachgeholt! In Pingtung waren wir an Konfuzius‘ Geburtstag mit allen Austauschschülern des Distriktes, um uns erst Morgens die Zeremonie in einem Konfuziustempel anzusehen und danach in die Bergregion zu fahren, um zu sehen wie einer der zahlreichen Ureinwohnerstämme hier lebt.

 

In Taitung war ich erst vor kurzem und zwar bin ich dorthin zusammen mit meinem Rotaryclub gefahren. Anders als die meisten Austauschschüler gehe ich jede Woche zum Meeting meines Clubs und habe dadurch auch ein recht enges Verhältnis zum ihnen. Ich muss aber wirklich sagen, dass ich mit meinem Club sehr, sehr großes Glück hatte, denn alle Clubmitglieder sind sehr jung und ich wurde, anders als die anderen Austauschschüler, von Anfang an ermutigt jede Woche zu kommen. Ich weiß, dass viele Austauschschüler gerne häufiger gehen würde, aber ihre Clubs ihnen das verweigern, was ich ehrlich gesagt nicht verstehe. In Taitung bzw der ländliche Region um Taitung herum haben wir eine Wanderung in einer Forest Recreation Area gemacht und uns im Anschluss in heißen Quellen erholt. Am Tag drauf haben wir eine Fahrradtour durch all die Obstplantagen dort (v.a. Ananas wird viel kultiviert) gemacht.

 

Diese ganzen Zusammenfassungen können nicht annähernd beschreiben was ich hier bis jetzt alles gesehen und erlebt habe, aber sie geben vielleicht einen Überblick. An dieser Stelle möchte ich auch gerne noch auf meinen Blog hinweisen, der mit jeder Woche um einen Eintrag reicher wird (http://littlebirdisflyingtotaiwan.blogspot.tw/)  Dort gibt es auch (mittlerweile) unzählige Bilder, die mein Leben hier zeigen und meine Texte sind auch sehr viel detaillierter.

 

Ich genieße die Zeit hier sehr und bin überglücklich mit meiner Entscheidung nach Taiwan gegangen zu sein!

 

Ich bin sehr, sehr dankbar für das, was mir meine Eltern und Rotary ermöglicht haben! 謝謝,大家!

 

 

Schreibe einen Kommentar