Elisa-Marias Jahr in Nashik/ Indien (2013-2014)

Im September 2012 bewarb ich mich erstmalig bei meinem Rotary Club (RC Leipzig) für ein Auslandsjahr. Zu diesem Zeitpunkt waren die Vereinigten Staaten im Gespräch. Ich wurde für einen Austausch zugelassen und im November 2012 entschied sich an einem, von Rotary geplanten Wochenende für Austauschschüler, dass ich nach einem Abenteuer strebte, nach spannenden Erlebnissen, neuen Erkenntnissen und einer anderen Kultur. Trotzdem wollte ich gerne mein Englisch verbessern. Welches Land käme da besser in Frage als Indien, dachte ich mir.

Und so kam es, dass ich am 07.07.2013 an einem Samstagnachmittag in ein Flugzeug stieg, was mich auf die größte und schönste Reise meines Lebens schickte. Nach etwa 9 Stunden Flugzeit kam ich völlig aufgeregt in Mumbai an, schnappte meinen Koffer und verließ den Flughafen. Durch vorangegangene E-Mails erkannte ich meine Gastfamilie sofort, welche mich mit ihrem Auto auf die lange Fahrt nach Nashik brachte. Nashik, eine für indische Verhältnisse kleine Stadt, mit 1,5 Millionen Einwohnern, nordöstlich von Mumbai, sollte mein Zuhause für das kommende Jahr werden. Nach etwa vierstündiger Autofahrt, die ich leider völlig verschlief, kamen wir an. Meine Gastmutter begrüßte mich mit einer Puja, einer traditionell indischen Segnung. Anschließend gab es Frühstück, was unglaublich lecker, aber leider etwas scharf war. Es handelte sich um ein Reisgericht, was etwas süßlich ist und Boha genannt wird. Ich war völlig übermüdet, wollte aber nichts verpassen und hielt mich wach. Gleich am ersten Tag durchfuhren wir (mein Gastbruder, die Nachbarn und ich) auf Mopeds die Stadt und ich konnte es kaum glauben: Ich war tatsächlich in Indien! Weit und breit lagen Kühe auf den Straßen und liefen durch die Stadt, Rikschas knatterten und ein leichter Geruch von Regen lag in der Luft. Der Monsun war in vollem Gange, verschonte mich glücklicherweise an meinem allerersten Tag, um in den kommenden Wochen umso mehr zuzuschlagen. Meine ersten beiden Monate waren dauerverregnet, aber dennoch aufregend und schön. Ich startete einen Yogakurs, der sich über mein ganzes Jahr erstreckte und jeden Morgen 5.30 Uhr begann. Außerdem besuchte ich ein staatliches College, was sich leider über die ersten Wochen als ziemlicher Flop entpuppte. Die Lehrer unterrichteten einen furchtbaren Frontalunterricht vor einer 120-Mann-Klasse. Alles wurde stur auswendig gelernt. Dennoch blieb ich standhaft, lernte Leute kennen, nahm an Feiern teil und genoss das Essen. Im September startete ich einen Nähkurs, der mir auch unglaublich viel Freude bereitete, da ich nun meine eigene indische Kleidung nähen lernte. Ende September ging ich mit meinen Gasteltern auf eine große Reise. 36 Stunden Zugfahrt von Nashik entfernt liegt Katra, ein nordindische Stadt im Staat Kaschmir. Dort liegt Vaishno Devi, die heiligste Stätte des Hinduismus, auf der Spitze eines Berges. An einem frühen Morgen machten wir uns auf und bewanderten den Berg, priesen die Götter und genossen das hervorragende Wetter.

Um dieselbe Zeit fand eines der größten Festivals im Hinduismus Ganesh Chaturthi statt. Es wird der Gott Ganpati als Gast im Hause gefeiert und mit täglichen Zeremonien eine Woche lang gepriesen. Ein unglaublich farbenfrohes Fest, voller Gesang, Musik und Gebete, welches ich sehr genoss.

Mitte Oktober wechselte ich zum ersten Mal meine Gastfamilie. Ein unkomplizierter Wechsel in eine interessante, Joint Family. Eine Mehrgenerationen-Familie, die aus 11 Personen bestand. Eine faszinierende und spannende Familienstruktur, ein neuer Alltag und neue Regeln erwarteten mich. Ein weiterer Höhepunkt meines Auslandsjahres war die Südindienreise, die für alle Austauschschüler zweier Distrikte von Rotary organisiert wurde. 23 Tage tourten wir, 17 Jugendliche, durch die interessantesten Städte Indiens, lernten neues Essen, neue Bauweisen, andere Rituale und die Gegensätze dieses Landes kennen. Es ging durch die Städte Nagpur, Hyderabad, Bangalore, Mysore, Chennai, Cochin, Mumbai und einige mehr. Meine Rückkehr Mitte Dezember in Nashik brachte einige Gastfamilienprobleme mit sich. Allerdings konnte ich denen sehr gut aus dem Weg gehen, da alle Austauschschüler meines Distrikts aufgrund einer Distriktkonferenz-Vorbereitung einen Monat lang nach Nagpur gerufen wurden. Dort kam ich in eine liebenswürdige Gastfamilie, mit zwei wunderbaren Töchtern. In dieser Familie lernte ich sehr viele neue Gerichte kennen (zum Beispiel Dhal Bati, etwas das mich an Deutschland erinnerte und Til, einen kleiner Sesamstick). Ich versuchte mich erstmals mit meiner Gastgroßmutter am Herd, eine völlig neue Erfahrung, da indische Gerichte durchaus nicht einfach zuzubereiten sind. Der Monat in Nagpur tat mir sehr gut und wir Austauschschüler hatten, trotz Verpflichtungen, eine Menge Spaß zusammen. Weihnachten huschte vorbei, das neue Jahr brach an und die Distriktkonferenz als Höhepunkt eines jeden Rotaryjahres rückte immer nähe, in der wir Austauschschülern auf der Bühne aktiv waren.

Anfang Januar machte ich ein zehntägiges, von Rotary organisiertes, Praktikum in einem Krankenhaus in Nagpur. Anschließend ging es für mich zurück nach Nashik, in meine Heimatstadt. Dort wechselte ich erneut die Gastfamilie und versuchte mich wieder neu einzuleben. Der lange Aufenthalt in Nagpur und die Zeit der Südindienreise, hatten meine Freizeitaktivitäten auf Eis gelegt und ich musste mir meine Alltagsbeschäftigungen wieder hart erarbeiten. Ich fuhr kilometerlange Strecken mit meinem Fahrrad (einem absolut unzumutbarem Drahtesel), setzte meinen Yogakurs fort, lernte neue Rezepte mit meiner neuen Gastfamilie kennen, festigte meine indisches Kochkunst, nähte fleißig und traf mich fast täglich mit meiner Freundin Alicia, die ebenso Rotaryaustauschschülerin aus Amerika war. Zusammen machten wir Nashik unsicher, erkundeten gemeinsam neue Ecken mit den Fahrrädern und nahmen an vielen Rotary-Veranstaltungen teil.

Anfang März startete eine zweite Rotary-Reise: Die Nordindientour. Auch diese barg wieder unverwechselbare, einzigartige Bauwerke (zum Beispiel das Hawa Mahal in Jaipur, der Akshardam Tempel in Neu-Delhi oder das Taj Mahal in Agra), sehr gutes, schmackhaftes Essen und viel Spaß miteinander. Außerdem hatten wir das Glück, zum wohl bekanntesten indischen Festival Holi (dem Farbfestival) am heiligen Fluss Ganges zu sein und dort vergnügt den Frühling einläuten zu können. Auch auf dieser Reise wurden uns die Gegensätze dieses Landes wieder sehr stark vor Augen geführt: Prunkvollste Hochzeiten mit Kamelen, Elefanten, Pferden und Blaskapelle im Staat Rajasthan, Kamelritte bei 45°C, am folgenden Tag Skifahren im Himalaya (bei 3°C) und tausende Touristen am Taj Mahal, die viele arme bettelnde Kinder anlocken. Und gerade zu diesem Zeitpunkt spürt man wie wunderbar Indien ist!

Deshalb waren das Ende dieser Reise und der Abschied von den vielen Austauschschülern, die ich wahrscheinlich nie wiedersehen werde, schmerzhaft. Zurück in Nashik im März hatte ich dasselbe Eingewöhnungsproblem nach einer solch langen Reise wie bereits im Januar. Ich begann erneut um meine Alltagsaktivitäten zu kämpfen und mir meinen Tagesablauf mühevoll wieder aufzubauen. Aber es hatte sich gelohnt! Mit einem zusätzlich begonnenen Kochkurs, meinem Morgenyoga, meiner Nähmaschine und dem Fahrrad genoss ich die letzten Monate Indiens. Mit Alicias Gastfamilie verbrachten wir noch ein Wochenende in Aurangabad, wo wir uns die UNESCO Weltkulturerbe Stätte, die Gräber von Ajanta und Ellora ansahen. Im letzten Monat wechselte ich zurück in zu meiner ersten Gastfamilie, da sie mir (neben meiner Nagpur-Familie) die meiste Sicherheit und Geborgenheit entgegengebracht hatte. Die letzten Wochen flogen viel zu schnell vorbei, doch die Freude auf mein deutsches Zuhause, auf meine deutsche Familie und Freunde wurde von Tag zu Tag größer. Und so war mein Abschied nicht gar zu schmerzlich.

In diesem Jahr habe ich viel gelernt. Viel über Indien, viel über Deutschland und am meisten über mich selbst. Ich habe das deutsche Schulsystem schätzen gelernt, die geregelten Strukturen, die hier vorherrschen. Aber dennoch geht nichts über die Offenheit und Herzlichkeit Indiens und deren Menschen, die sich um mich ausbreiteten und mit all den Farben und Gerüchen auf mich einstürzten. Ich weiß, dass ich wieder nach Indien gehen werde, dass ein Teil meines Herzens für immer an Indien gebunden ist und dass ich es nicht erwarten kann, all das irgendwann einmal wiederzuhaben.

Elisa-Maria Dietrich, November 2014

 

© Am Ganges, Varanasi, März 2014 

 

 

© Schwestern – Teile meiner Familie, Juni 2014 

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