Chile – 2. Bericht von Eve-Jil

Sehr geehrte Rotarier und liebe Outbounds des Distriktes 1880,

nun bin ich schon über 4 Monate in Chile und ich kann es täglich nicht glauben, wie schnell die Zeit vergeht. Es fühlt sich so an, als würde mein Leben in Deutschland viele Jahre hinter mir liegen. Ich kann mir mein Leben im Moment gar nicht mehr anders vorstellen und der Gedanke, dass in weniger als 6 Monaten mein normaler Alltag in Deutschland weitergeht, ist absolut absurd.

In den letzten 3 Monaten, die nach meinem 1. Quartalsbericht vergangen sind, ist viel passiert. Ich habe 2 unvergessliche Reisen hinter mir, durfte tolle Veranstaltungen mit meiner Schule erleben, hatte mein erstes Weihnachtsfest ohne meiner Familie in Deutschland, meine Ferien haben begonnen, Freundschaften haben sich gefestigt und Heimweh hat zugeschlagen.

Ende Oktober hatte ich meine erste kleine Reise mit Rotary. Es waren zwar „nur“ 4 Tage und wir fuhren „nur“ in eine Küstenstadt ca. 500km weit weg, aber es war ein Erlebnis, welches ich nicht so schnell vergessen werde. In meinem Distrikt sind wir insgesamt ca. 75 Austauschschüler, was einfach zu viele sind. Es ist zwar immer was los, aber es ist beinahe unmöglich alle Namen zu können, geschweige denn davon alle wirklich kennenzulernen. Auf der Reise waren allerdings nur ca. 30 Jugendliche mit, was einfach perfekt war. Jeder hatte was mit jedem zu tun und man hatte das erste mal die Chance alle Austauschschüler aus den verschiedensten Ländern besser kennenzulernen. Das war für mich ein tolles Erlebnis. Die Austauschschüler, die in Santiago leben (was ca. 30-35 sind!!!) haben diese Chance jeden Tag, da ich aber etwas abgelegen und vor allem nur mit einer weiteren Austauschschülerin lebe, war die Reise für mich etwas sehr besonderes! Im Dezember fand dann die Reise zu den Osterinseln statt. Da habe ich mich von Anfang an angemeldet, da Rotary von Beginn an bekannt gegeben hat, dass die Reise im November stattfinden wird. Deswegen habe ich meinem Klassenlehrer zugesagt mit ihm und meiner Klasse im Dezember nach Argentinien auf eine 8 tägige Klassenfahrt zu fahren. Die Reise nach Argentinien war bezahlt und wie sollte es anders sein? Rotary Chile hat dann, Mitte November, gesagt, dass die Reise zu den Osterinseln im Dezember stattfinden wird und sich natürlich mit meiner Klassenfahrt überschneidet.

Also konnte ich an der ersten richtigen Rotary Reise leider nicht teilnehmen. Und das ist auch mein größtes und eigentlich einziges Problem in Chile: die unfassbare Spontanität und Unzuverlässigkeit von Rotary (bzw. von fast allen Menschen). Man weiß nie wirklich was passiert, wichtige Termine werden 2 Tage vorher bekannt gegeben und vielleicht 2h eher auch schon wieder abgesagt. „Planen“ ist ein Fremdwort für die Chilenen und das war vor allem in den letzten Monaten oft sehr anstrengend für mich aber ich probiere mich dran zu gewöhnen und auch die (für mich sehr negative) Eigenschaft des Landes und der Menschen zu akzeptieren.

Um was erfreuliches zu erzählen: die Reise nach Argentinien war für mich der absolute Wahnsinn! Es waren wirklich die besten Tage meines bisherigen Lebens. Es war eine komplett neue Erfahrung von einer „Kursfahrt“. Unser Lehrer, der erst 25 ist, war wie ein Freund und wir hatten alle unfassbar viel Spaß miteinander. Ich habe so wie so von Anfang an meines Austauschjahres ein super Verhältnis zu meinem Kurs, was die beste Voraussetzung für unvergessliche Tage war! Ich bin sehr dankbar für dieses Erlebnis.

Generell bin ich sehr zufrieden mit meiner Schule. In Chile geht das Schuljahr von März bis Dezember, deswegen durfte ich vor kurzem die letzten Schulwochen eines Schuljahres erleben, was mir total viel Spaß gemacht hat.

Auf der einen Seite wurden ganz viele Dinge durchgeführt wie zum Beispiel eine „Sportwoche“ und auf der anderen Seite waren es für die 12. Klässler auch die letzten Schulwochen ihren Lebens und es war sehr berührend zu sehen, wie sowas in Chile „gefeiert“ wird. Es hat sich wieder eine Sache bestätigt, die ich vom ersten Tag an meiner Schule gespürt habe: das gute Verhältnis zwischen Schülern und Lehrern. Die Erfahrungen in der Schule werden mich mit Sicherheit noch sehr lange begleiten und ich werde oft in Deutschland daran zurück denken, wenn ich wieder auf der Schulbank sitze und das komplette Gegenteil erlebe.

Eine weitere Besonderheit der letzten Monate war natürlich Weihnachten. Denn mit 16 Jahren ein Weihnachten ohne der Familie, bei ca. 25 Grad und unter Palmen zu verbringen, ist, denke ich, nichts selbstverständliches. es fang schon viele Wochen vor Weihnachten an, dass sich einfach ein komisches Gefühl im Bauch ausgebreitet hat. Die Kaufhäuser, Geschäfte, Straßen und Häuser wurde weihnachtlich dekoriert, was eigentlich Original wie in Deutschland war. Weihnachtsstimmung war allerdings nicht da. Es gab viele Tage im Dezember, an denen ich mich einfach am falschen Platz gefühlt habe. Ich habe täglich davon mitbekommen, wie meine Freunde und meine Familie in Deutschland auf Weihnachtsmärkten war, bei -5 Grad vor dem Kamin saß und Plätzchen gebacken hat. Ich dagegen konnte immer nur Bilder schicken, wie ich am Pool oder am Strand in der Sonne lag. Weihnachten war bis jetzt mit Abstand die schlimmste Zeit, aber ich habe mir immer wieder probiert zu sagen: es wird noch etliche Weihnachten in Deutschland geben. Ein Weihnachten in Chile, in einer neuen Familie, die täglich dafür sorgt, dass es mir gut geht und dass ich mich wohl fühle, wird es nie wieder geben. Ich habe probiert die Zeit so gut wie es geht zu genießen und so viele Eindrücke wie möglich aufzunehmen. Und da meine Familie in Chile super lieb ist, war Heiligabend richtig schön. Am Nachmittag vom 24.12. habe ich hauptsächlich mit meiner Familie aus Deutschland gesprochen, da hier in Chile der 24. bis Abends um 8 ein ganz normaler Tag war (zumindest in meiner Gastfamilie). Ich habe für meine Eltern, meine Schwester, meine Oma und die Austauschschülerin, die in meinem Haus wohnt ein Video gemacht. Da habe ich meine Eindrücke der Weihnachtszeit zusammengeschnitten (hauptsächlich, wie schon gesagt, am Pool oder am Strand mit kurzer Hose und ohne Jacke), habe mit dem Pazifischen Ozean als Hintergrund ein paar Weihnachtslieder mit meiner besten Freundin hier gesungen und habe ihnen noch ein paar Weihnachtsgrüße gewünscht. Klar gab es Tränen, aber das war zu erwarten. Um 9 Uhr Abends ging es dann mit meiner Gastfamilie in die Kirche. Mein Gastbruder, welcher ein guter Freund von mir geworden ist, war zu Hause und wir haben Heiligabend auch mit meinem „Gastvater“ verbracht, mit dem ich sonst eigentlich nichts zu tun habe, da meine Gasteltern getrennt sind. Auch wenn ich den Mann kaum kenne, war es schön, das erste Mal nach 4 Monaten mal wieder das Gefühl von „Familie“ zu haben- Mama, Papa und Kinder. Nach dem 2 stündigen Programm in der Kirche, was auch eine ganz neue Erfahrung für mich war, da ich in Deutschland nie in die Kirche gehe, gab es ein riesiges Essen. Etliche Salat und Beilagen, einen riesigen Truthahn (von dem wir noch Tage danach gegessen haben) und ein leckeres Dessert. Danach saßen wir zusammen und haben Filme geschaut, bis es dann 24h Geschenke gab. Meine Gastfamilie hat sich sehr über meine Geschenke gefreut (vor allem über das Räuchermännchen handgeschnitzt aus dem Erdgebirge) und auch ich war sehr überrascht und glücklich über die lieben Geschenke meiner Familie! Nach der Bescherung haben wir noch bis tief in die Nacht Filme geschaut. Ich war sehr positiv überrascht von Weihnachten, auch wenn das einzige, was Weihnachtsstimmung gebracht hat, der Weihnachtsbaum war. Ich bin einfach unfassbar dankbar für meine momentane Gastfamilie und wenn ich daran denke, dass ich am 4. Januar die Gastfamilie wechseln muss, kommen mir die Tränen!

Ich habe immer noch überdurchschnittlich viel Kontakt mit meinen Eltern und Freunden aus Deutschland. Aber ich habe nicht das Gefühl, dass das mein Austauschjahr negativ beeinflusst, deswegen bin ich sehr zufrieden mit der Situation. Hier in Chile ist eigentlich alles perfekt. Ich habe eine tolle Gastfamilie, tolle neue Freunde, gehe auf eine tolle Schule… und trotzdem merke ich, wie ich mein zu Hause in Deutschland immer, immer mehr zu schätzen lerne. Auch wenn es oft weh tut, ist es eigentlich ein schönes Gefühl gewisse Menschen aus der Heimat (vor allem natürlich meine Eltern!) von Tag zu Tag mehr lieb zu haben!

Als letztes möchte ich noch anmerken, dass die Austauschschülerin, die im Moment in meinem Haus in Deutschland wohnt, einen großen Beitrag dazu leistet, dass ich hier in Chile so zufrieden bin! Meine Eltern sind super zufrieden mit ihr, ich habe fast täglich Kontakt mit ihr und es macht mich im Allgemeinen einfach sehr glücklich und beruhigt mich, dass sie bei meiner Familie ist!

Und nun zum eigentlichen Thema: was ich den momentanen Outbounds mitteilen kann.

Als erstes- es steht eine großartige Zeit vor euch und auch wenn noch viele Zweifel und auch Angst auf euch zukommen wird… ihr könnt durch dieses Austauschjahr nur gewinnen!!! Ihr habt die Möglichkeit neue Freunde und neue Familien und neue Möglichkeiten für euer weiteres Leben zu gewinnen. Aber wofür garantiert ist, was ihr gewinnen werdet, sind Erfahrungen, die euch euer Leben lang begleiten werden. Es wird nicht nur gute Zeiten geben, ganz im Gegenteil. Es ist relativ wahrscheinlich, dass jedem von euch auch Situationen widerfahren werden, die euch an eure Grenzen bringen. Aber mit der Zeit wachst ihr an euch selbst, das kann ich euch versprechen. Ihr bekommt ein ganz anderes Gefühl für euch selbst und für die Menschen aus eurem Umfeld-Umfeld in eurem Gastland, sowie Umfeld in Deutschland.

Als nächstes ein Tipp für die ersten Tage und Wochen in eurem Gastland: macht ruhig!!! Macht euch selbst keinen Druck, dass von Anfang an alles super sein muss. Eingewöhnung braucht Zeit! Vor allem am Anfang kommen so unfassbar viele Eindrücke auf euch zu. Nehmt euch Zeit diese zu verarbeiten! Jeder Austausch ist anders. Für die einen läuft es von Anfang an perfekt, bei den anderen kommt es erst nach gewisser Zeit und dafür dann doppelt und dreifach so gut! Meine Gastschwester, die im Moment in Frankreich zum Austausch ist hatte eine ganz schwere Anfangszeit. Sie hat sogar ernsthaft darüber nachgedacht wieder zurück nach Hause zu gehen. Aber ihre Mama/meine Gastmama, ihre Freunde von hier und auch ich haben ihr immer wieder gut zugeredet und so hat sie nicht aufgegeben. Und jetzt, bzw. schon seit einem knappen Monat, ist sie unfassbar glücklich und kann gar nicht mehr verstehen, wie sie jemals darüber nachgedacht haben kann, ihren Austausch abzubrechen! Also, falls es mal schwer wird, erinnert euch immer dran, warum ihr euch für den Austausch entschieden habt!

Ein weiterer Tipp fürs Voraus… wenn ihr in ein nicht-englischsprachiges Land geht: beschäftigt euch mit den Grundlagen der neuen Sprache. Keiner erwartet, dass ihr schon gut sprechen könnt, aber eine kleine Grundlage müsste da sein. Es wird euch vieles vereinfachen, ich spreche aus Erfahrungen. Ich bin hier wirklich ohne jeglichen Sprachkenntnissen hergekommen, habe zwar einen Spanischkurs in der Volkshochschule belegt, der mir aber eigentlich nichts gebracht hat. Ich habe mich irgendwie durchgekämpft, aber es gab viele schwierige Situationen, die ich mir hätte ersparen können, wenn ich mich davor ein bisschen mehr ins Zeug gelegt hätte. Vertraut mir! Ich weiß, man will vor allem seinen Sommer in Deutschland genießen und viel Zeit mit seinen Freunden verbringen, aber nehmt euch immer mal wieder ein bisschen Zeit und macht euch ein bisschen mit der neuen Fremdsprache vertraut. Und generell: geht nicht ungeplant in euer Austauschjahr. Informiert euch ein bisschen über die Menschen und Sitten in eurem Gastland. Verschafft euch dadurch keine Vorurteile, sondern stellt euch einfach ein bisschen darauf ein, was auf euch zukommen wird. Es wird teilweise nämlich, was natürlich auch davon abhängt, wo ihr hingeht, große Unterschiede zu Deutschland geben, die euch in manche Situationen vielleicht auch schockieren werden. Deswegen informiert euch lieber im Voraus! Es wird euch Vorteile bringen! Ein nächster Rat: bringt euch in eure Gastfamilie ein! Eure Gastfamilie bestimmt, wie eure Familie in Deutschland, einen großen Teil eures Austauschs. Und bei Rotary geht es ja um Völkerverständigung. Nicht nur ihr sollt die Kultur eures Gastlandes und die Sitten eurer Familie kennenlernen, sondern auch eure Gastfamilie soll ein bisschen mehr von der deutschen Kultur mitbekommen! Ich hab die Erfahrung gemacht, dass meine Gastfamilie immer total glücklich war, wenn ich etwas von zu Hause erzählt habe oder Fotos gezeigt habe. Mittlerweile hat meine Gastmama sogar wöchentlich Kontakt mit meiner Mama aus Deutschland. Sie schicken sich oft Bilder!

Die nächste Sache, die ich euch zu sagen habe ist etwas, was ihr mit euren Eltern besprechen müsst, aber ich kann euch nur raten, wenn die finanziellen Mittel da sind: macht ALLE Rotary Reisen mit!!! Wünscht es euch zum Geburtstag oder zu Weihnachten, fragt eure Großeltern, Tanten und Onkels, ob sie etwas Geld dazu geben können. Ich verspreche euch: es lohnt sich! Die Reisen sind das Beste am Austausch. Ihr lernt euer Gastland viel besser kennen und nicht nur das! Ihr lernt genau so etliche Jugendliche aus den unterschiedlichsten Ländern kennen! Das ist eine Erfahrung, die einmalig ist! Ich hoffe für euch alle, dass ihr teilnehmen könnt! Ansonsten freut euch einfach auf alles, was auf euch zukommt. Das wird die schönste und auch schwierigste Zeit in eurem Leben, aber es wird euch, wie gesagt, in jeder Hinsicht weiterbringen.

Falls ihr Fragen habt, stehe ich auch immer zur Verfügung. Es hat mir in den letzten Monaten sehr oft geholfen, über Probleme mit ehemaligen Austauschschüler zu reden!

Ganz liebe Grüße und alles Glück der Welt für euer Abenteuer!!!

Eve, aus Chile.

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