Kolumbien – 3. Bericht von Juliane

Sehr geehrte Rotarier des Distriktes 1880, Rotexer, Outbounds und Freunde,

230.

230 Tage in Kolumbien. Auch mich schockiert das, denn mir kommt es wie gestern vor, als ich vor meinen Koffer saß und überlegt habe wie ich am besten die Socken verstaue ohne dass sie Platz wegnehmen.

Bald stehe ich dann wieder vor dieser Situation, nur dass es schlimmer sein wird, ich werde mich nicht nur Fragen, wo ich meine Socken verstauen werde, ich werde mich fragen müssen, wo ich meine neugewonnen Eigenschaften, meinen neuen Charakter, meine Erinnerungen, meine Freunde und Familie von Kolumbien, meinen neu gewonnen Stolz und alles der vergangenen 230 Tage verstauen werde. Ich habe Angst, dass es für all das kein Platz in Deutschland gibt, aber da diese Dinge ein Teil von mir sind, müssen sie mit. Aber bevor ich mir diese Frage stelle, habe ich noch Zeit.

In der letzten Januarwoche war ich mit meiner Familie für vier Tage in Cartagena de indias. Cartagena ist eine etwas ältere, an der Karibikküste gelegene Stadt. Ich hatte zwar schon viel von Cartagena gehört, doch in Wahrheit ist es noch viel schöner. Das Leben dort ist so zerstreut und für die Menschen in Cartagena ist Zeit so unwichtig, alles ist so entspannt. Wir hatten ein Apartment direkt am Strand und sind also jeden Morgen direkt ins Meer gesprungen und haben frische Mango gegessen und Limonade aus Kokosnussschalen getrunken, habe mich ein bisschen wie in einem Film gefühlt. Am zweiten Tag waren wir dann auf der Festung San Felipe, da wir am Abend auf der Festung waren, haben wir den Sonnenuntergang von dort oben bewundern können.

Später waren wir dann noch Essen im Stadtinneren von Cartagena. Es gibt ganz viele kleine Plätze mit Restaurants, vielen Straßenmusikern und traditionellen wie auch Hip Hop- Tanzgruppen. Man wusste nie richtig, wo man hinschauen sollte, weil soviel auf einmal passierte.

Die traditionellen Tanzgruppen hatten traditionelle Kostüme an und tanzten Karneval und Cumbia. Am Abend darauf stiegen wir in eine Kutsche ein und fuhren durch die Stadt. Die Häuser in Cartagena sind alle Bunt angestrichen und jedes Haus in einer anderen Farbe, es ähnelt einem Bilderbuch mit all den bunten Balkonen und den vielfältigen Lädchen. Auf jedem Marktplatz gibt es unendliche viele kleine Stände die überhäuft sind von Armbändern, Ketten und anderen Mitbringsel.

Den letzten Tag genossen wir dann nochmal am Strand auch wenn die Sonne dort sehr unaufhaltsam ist und man sich im Sand die Füße verbrennt, war es ein sehr schöner letzter Tag. In Pitalito zurück, ging dann wieder der Schulalltag los und ich hatte endlich die Chance meine neuen Klassenkameraden besser kennen zu lernen. In der 2. Schulwoche war dann mein Geburtstag und um ehrlich zu sein hatte ich den ganzen Januar Angst , dass ich nicht wirklich jemanden der mit mir feiert haben würde , da ich ja in einer neuen Klasse war und zufolge​ noch nicht so viele Bekanntschaften haben würde bis zu meinem Geburtstag. Als ich dann an dem Samstag vor meinem Geburtstag Abends Nachhause​ kam, waren auf der Terrasse ca. 30 junge Menschen die mit mir meinen Geburtstag feiern wollten und wir tanzten in die Nacht herein und mein Kopf wurde auch ganz traditionell in den Kuchen gedrückt. Ich glaube das war einer der schönsten Geburtstage die ich je hatte. Abbildung 1: Es sind leider nicht alle zu sehen

Mittlerweile bin ich schon über einen Monat in meiner neuen Klasse und ich fühle mich sogar viel wohler als in der anderen, ich verstehe mich so gut mit jedem in der Klasse und gehe alle Wochenenden zusammen mit Freunden Essen, Tanzen, Ins Kino oder ich lade zu mir ein. Am Sonntag bin ich dann immer mit meiner Familie zusammen und wir in letzter Zeit sind wir fast alle Tage des Wochenendes bei meiner Gastoma weil sie ihre Hüfte operiert bekommen hat. Ich weiß sie nicht nicht meine richtige Oma, aber sie ist ebenfalls sehr wichtig in meinem Leben geworden und ich bin froh dass es ihr nun besser geht.

In der vorletzten Märzwoche waren wir dann auf einer Spirituellen Klassenfahrt etwas abgelegen von einer Stadt namens Garzon​. Wir sind alle gemeinsam mit einer shiva dorthin gefahren, ein eigenartiger Bus ohne Wände. Wir sangen die dreistundige Fahrt alle laut zusammen, schrien und lachten bis wir dann endlich erschöpft ankamen. Unsere Jugendherberge war mitten in den Bergen und umliegenden ein triefendes Nichts. Ich habe mir das Zimmer mit drei guten Freundinnen geteilt, es war sehr Lustig, denn wir verstehen und kennen uns sehr gut. In den nächsten drei Tagen bin ich mit meinen Mitschülern sehr zusammengewachsen und habe extrem viel über das Leben und über mich selbst erlebt, denn jeden Tag machten wir gemeinsam Aktivitäten aber auch viele Arbeiten, welche man für sich selbst erledigen musste. Am zweiten Tag haben Sie uns endlich die langersehnten Jacken geschenkt mit dem Schullogo, dem Schuljahr und dem Spitznamen. Auf meiner Jacke steht „Yuya.“ geschrieben, denn das bin ich hier, hier nennen mich alle yuya. Die letzte Nacht habe ich so viel geweint, wie es wahrscheinlich noch nie getan habe, aber es war nicht wegen Traurigkeit. In dieser Nacht haben wir allerdings alle geweint und niemand kann sich so genau erklären warum. Alle Eltern hatten ein Video geschickt, in dem sie über ihr Kind sprachen und ich habe nicht gewusst,ob meine Gastfamilie mir etwas schicken würde oder nicht, als dann meine Mama aus Deutschland auf der Leinwand auftaucht und meine ganze Familie konnte ich nicht anders als erneut in Tränen auszubrechen Diese Klassenfahrt war für mich ein unglaubliches Erlebnis und unglaublich gefühlsvoll. Ich bin so glücklich in meiner Klasse und mit meinen Freunden.Ich habe jeden einzelnen von ihnen so lieb und ich bin sehr dankbar, dass sie mich in so wenig Zeit so ins Herz geschlossen haben.

Es fehlen nur noch 3 Monate bis ich wieder Nachhause komme und einerseits verbinde ich diesen Moment mit unglaublicher Traurigkeit aber gleichzeitig mit einem unbeschreiblichen Glücksgefühl. Wenn ich das erklären könnte ist es ,weil ich kein Zuhause mehr habe, ich habe ein Zuhause in Kolumbien und ein Zuhause in Deutschland, deswegen ist es unmöglich mich irgendwo komplett zuhause zu fühlen, weil mir immer eines der Beiden Länder fehlen wird. Das hat mir beigebracht, dass​ man sich es gar nicht drauf ankommt, wie lange man einen kennt sondern eher, sondern eher wie sehr man sich mag. Zum Beispiel meine Gastschwester ist so was wie meine Beste Freundin oder viel mehr wie eine echte Schwester. Am Anfang war für mich alles so exotisch und neu und jetzt ist es so normal für mich wenn ich einen Bus sehe, wo sich die Menschen die Außenwand des Busses klemmen wegen Platzmangel oder meine Tante in ihrem Auto die Salsamusik so laut aufdreht, dass das ganze Stadtviertel mithört und sie dann oben drauf noch laut mitsingt, mittlerweile weiß ich auch all die Texte und singe mit. Ich bin zu einer kleinen Kolumbianerin mutiert mit einem großen deutschen Herz. Das hier ist nicht einfach nur ein Jahr in meinem Leben, es ist ein. Leben in einem Jahr welches für immer mit mir Bleiben wird, in meinem Herzen und in meinem Charakter.

Ich würde jetzt noch ein wichtiges Thema ansprechen wollen, welches dieses wundervolle Land zur Zeit aus der Fassung bringt. Vor einigen Tagen wurde eine Stadt, ungefähr so groß wie Pitalito, überschwemmt. Die Schlammlawine kam über Mocoa mitten in der Nacht und hat die Einwohner im Schlaf überrascht. Insegesamt handelt es sich um 17 zerstörte Stadtteile und über 200 Todesfälle und noch ettliche weitere werden vermisst. Mocoa liegt zwei Stunden von Pitalito entfernt und Pitalito wird damit zur helfenden Hauptstation. Von hier aus werden Decken, Wasser, Reis, Teigwaren, Milch und so weiter nach Mocoa gesendet. Den Leuten hier geht der Verlust sehr nahe und viele haben Angst. Wenn man Facebook öffnet kommen einen Gesichter von vermissten Menschen ins Auge und Hilferufe. Mein Rotary Club stellt hier sehr viel auf die Beine und ich bin froh, dass ich auch mithelfen kann. Ich bitte Sie nun alle darum für Mocoa und Kolumbien, in dieser Zeit des Leidens, zu beten oder einfach nur in Gedanken hier zu sein.

Vielen Dank Rotary für alles und ganz viele liebe Grüße Juliane.

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