Chile – 3. Bericht von Eve-Jil

Liebe Rotarier, die Zeit ist fast um und in etwas mehr als 2 Monaten werde ich wieder in Deutschland leben. Seit dem letzten Quartalsbericht hatte ich nicht sonderlich Glück mit allem gehabt. Anfang Januar habe ich direkt meine Gastfamilie gewechselt, habe da aber nicht viel Zeit verbracht, da die Schwester meines neuen Gastvaters eine andere Austauschschülerin und mich für ein paar Tage nach Concepcion eingeladen hat. Das ist eine Stadt ca. 6h von meinem Heimatsort entfernt, im Süden von Chile. Ich war dankbar für die Chance einen weiteren Teil von Chile kennenzulernen, war aber gleichzeitig ein wenig traurig, dass ich nicht bei meinen Freunden bleiben konnte. Aber da ich zu dem Zeitpunkt noch genau 2 Monate Ferien übrig hatte, fuhr ich natürlich mit. Die erste Woche verging ziemlich mühselig, weil es wirklich zu heiß war, um irgendetwas unternehmen zu können. An unserem ersten Wochenende fuhren wir dann aber zu einem Motocross Rennen des Sohnes der Familie. Das war total meine Welt, da ich auch als kleines Kind in Deutschland immer zu Motocross Wettkämpfen geschleppt wurde. Wir hatten sehr viel Spaß. Das sollte aber nicht lange anhalten. Als der Sohn der Familie mit seiner Altersklasse durch war, wollte ich unbedingt ein Bild mit dem Motorrad machen, setzte mich also, ohne nachzudenken, auf das riesige Gerät (mit kurzer Hose natürlich). Und wie sollte es anders kommen, das Motorrad fiel um und der heiße Motor fiel auf meine Wade. So kam es dann, dass wir ins Krankenhaus fahren mussten. Ich hatte eine riesige Verbrennung, die mir die nächsten Wochen noch unendlich viel Zeit, Geld und Schmerzen kostete. Ich musste fast jeden Tag ins Krankenhaus, wo mein Bein immer wieder neu und neu verarztet wurde. Es war wirklich keine schöne Zeit und wenn ich jetzt, in diesem Moment, auf die riesige, immer noch nicht verheilte Wunde/Narbe(?) schaue, bin ich immer noch sauer auf mich selbst, wie mir sowas doofes passieren konnte. Der kleine „Unfall“ beeinflusste natürlich den Verlauf meines weiteren Sommers. Abgesehen davon, dass wir erstmal bei der Familie in Concepcion bleiben mussten, weil ich einen Krankenhaus Termin nach dem anderen hatte und auch nicht ansatzweise laufen konnte, durfte auch den ganzen Sommer, bis jetzt, keine Sonne auf mein Bein kommen, in den ersten Wochen, als es noch offen war, nicht mal Wasser. Das ist wirklich mehr als blöd gelaufen. Es waren keine schönen Tage für mich. In der Zeit in der die anderen, in der Sonne lagen, ans Meer gefahren sind oder im Pool entspannten, saß ich den ganzen Tag, wenn ich nicht grade im Krankenhaus war, in meinem Sessel, durfte mich nicht bewegen und stopfte Medikamente in mich hinein. Doch das war noch gar nichts gegen das, was mich die nächste Woche in Concepcion erwartete. Ca. 10 Tagen nach meinem Unfall konnte ich dann wieder laufen und es war geplant, dass wir endlich nach Hause fahren können. Doch auf der Heimfahrt vom letzten Krankenhaus-Besuch sahen wir etwas, was sich als Katastrophe anbahnte. Schon seit Wochen gab es in Chile große Waldbrände, die Hektar von Land zerstörten. Und ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt war ein riesiger Brand in dem Ort in dem die Familie der Schwester meines Gastvaters lebt. Ich erinnere mich noch daran, wie wir erstmal Heim gefahren sind, was schon ein riesiger Prozess war, weil die Straßen voller Autos und verzweifelten Menschen waren. Als wir im Haus angekommen sind, durften wir wegen dem Rauch nicht mehr raus gehen und ab und zu kamen fremde Kinder zu uns, die auch vor dem Rauch geschützt werden mussten (den Schutz konnten sie in ihren eigenen Häusern nicht bekommen, da diese schon von der Glut beschädigt waren). Es war wirklich gruselig, da ich aus dem Fenster das Feuer sehen konnte, was trotzdem noch relativ fern war. Es war trotzdem schrecklich die vielen unglücklichen, weinenden Menschen im ganzen Ort zu sehen. Gegen 20 Uhr rum, war das Feuer unter Kontrolle und es gab keinen Grund mehr um Angst zu haben. Wir legten sogar noch eine Wurst auf den Grill und aßen draußen. Doch gegen 21 bis 21:30 Uhr bahnte sich das nächste Problem an. Von der anderen Seite des Hauses kamen Funken und man sah deutlich, dass ein neues Feuer herrschte (natürlich nicht direkt neben dem Haus, sonst hätten wir da nicht eine Minute länger bleiben können!). Ich erinnere mich nur daran, dass dann irgendwann der Strom und das Wasser weg waren und viele Freunde von der Familie kamen, die halfen Wasser aus Containern auf das Dach und das gesamte Grundstück zu verteilen, damit keiner der tausend Funken ein Feuer auslösen kann. So ging es dann die ganze Nacht weiter. Ich weiß nicht mehr wirklich, um welche Zeit das Feuer unter Kontrolle war, ich weiß nur noch wie ich gegen 3 irgendwie im Sitzen einschlief, gegen halb 6 wieder aufwachte, im ganzen Haus schlafende, erschöpfte Menschen schliefen und immer noch 3 Männer draußen standen und aufpassten, dass das Feuer ruhig bleibt. Am nächsten Tag wurden die andere Austauschschülerin und ich dann zu der Schwester der Familienmutter geschickt, die ca. 30km weiter weg wohnte und bei der es den Umständen entsprechend sicher war. In dem Ort gab es sogar kaum Rauch, was für den Zeitpunkt in Chile schon etwas Besonderes war. Dort verbrachten wir noch 2 Tage bis wir endlich nach Hause fahren konnte, wo es auch sicher war. Das alles war keine schöne Erfahrung. Auch auf dem Weg zu Hause sahen wir, wie etliche Flächen zerstört sind. So viele Tiere starben, Menschen verloren ihre Häuser und sogar freiwillige Feuerwehrmänner, die gegen die Flammen kämpften, wurden schwer verletzt und einer starb sogar. Ich erinnere mich nur ungern an die Zeit zurück. Trotzdem hat es mich und auch meine Familie und meine Freunde aus Deutschland mal darauf aufmerksam gemacht, dass die Katastrophen, die in den deutschen Nachrichten täglich gezeigt werden, manchmal gar nicht so weit weg sind (nicht im geografischen Sinne). Man nimmt die schrecklichen Sachen, die täglich auf der ganzen Welt passieren, oft gar nicht wirklich ernst bzw. macht sich kaum Gedanken darüber. Es ist teilweise selbstverständlich, dass jeden Tag oder zumindest einmal in der Woche etwas derartiges passiert. Man sieht es im TV, denkt sich kurz „So ein Mist, die armen Menschen/die arme Natur,…“ und 2 Minuten später ist es schon wieder vergessen und man lebt in seinem sicheren Land weiter (ich weiß, auch Deutschland ist vor allem im Moment nicht zu 100% sicher, es ist aber im Vergleich sehr friedlich und ist vor allem von schweren Naturkatastrophen weitgehend verschont geblieben). Dieses schlimme Ereignis, Ende

Januar, hat mich sehr zum Nachdenken gebracht. Eine weitere Sache die ich daraus mitgenommen habe ist, dass ich unendlich viel Respekt vor den Chilenen habe. Es wurde keine Panik geschoben… es wurde ruhig und klug gehandelt und es wurde sich, anstatt sich aus der Hektik heraus anzuschreien oder zu verzweifeln, eher in den Arm genommen. Es kamen sofort etliche Freunde und Familienmitglieder um zu helfen und sich gegenseitig beizustehen. Es hat mich wirklich sehr beeindruckt, wie sie mit der Situation umgegangen sind. Das werde ich bestimmt nicht so schnell vergessen.

Endlich zu Hause angekommen war ich erstmal der glücklichste Mensch der Welt. Über 3 Wochen war ich von meinen Freunden und von meiner 2. Familie getrennt. Ich habe mich unglaublich gefreut zurück zu sein. Es wäre gelogen, wenn ich jetzt sage, dass ich keinen schönen Sommer hatte, weil den hatte ich teilweise. Es ist toll direkt am Strand zu wohnen. Das kleine Dorf war die ganzen Ferien über gut gefüllt. Es war jeden Tag was los. Sport- Wettkämpfe, Konzerte im Park, Basare,… Ich verbrachte viel Zeit mit meinen Freunden und wir genossen einfach den Sommer. Trotzdem gab es nach der Feuerkatastrophe immer wieder Dinge, die dazu beigetragen haben, dass ich nie wieder so glücklich war, wie Ende 2016. Ich wurde mit vielen Dingen konfrontiert, von denen ich in meinem bisherigen Leben immer verschont geblieben bin. Vor allem durch den Tod einer Person meiner Heimat in Deutschland, ging es mir immer wieder sehr schlecht. Auch ein schreckliches Erlebnis war, als Ende Januar ein Junge aus Neuseeland in den Austausch in mein Dorf am Meer geschickt wurde. Der Papa von ihm, ist nur 2 Wochen nachdem er in Chile angekommen ist, in Neuseeland gestorben. Das war eine schreckliche Erfahrung. Er kannte niemanden außer seine Gastfamilie und mich und trotzdem hat er sich dafür entschieden in Chile zu bleiben und nicht zurück zufliegen. Ich denke nicht gerne an die vergangenen 3 Monate zurück. Ich denke es hat mich charakterlich weiter gebracht, trotzdem bin ich ein bisschen traurig, dass mein Sommer letztendlich nicht so unbeschwert und schön war, wie es manchmal den Anschein gemacht hat. Vergessen werde ich die Zeit auf jeden Fall nie, doch leider eher im negativen Sinne.

In meiner eigentlich ersten Schulwoche, ging es dann allerdings mit Rotary auf die Reise nach Patagonien. Wir flogen in die südlichste Stadt der Welt und verbrachten da ereignisreiche 5 Tage, in denen wir viele unterschiedliche Dinge erlebten. Es war eine schöne Zeit.

Danach ging es dann doch endlich wieder in die Schule. Es ist für deutsche Schüler und Schülerinnen eine unvorstellbar lange Zeit 3 einhalb Monate nicht in die Schule zu gehen und ich kann nur sagen: Ja, man kann wirklich ZU lange Ferien haben. Abgesehen davon, dass es umso schwerer ist, sich wieder an den anderen Rhythmus der Schulzeit zu gewöhnen, ist es auch einfach wieder schön, dass ein gewisser Alltag eingekehrt ist. Jetzt gehe ich noch ca. 2 Monate in die Schule, wechsle in einer Woche zu meiner dritten und letzten Gastfamilie und dann geht es auch schon nach Hause. Was ich dabei fühle? Sehr viel Freude. Mein Austauschjahr war sehr durchwachsen. Ich hatte die wahrscheinlich besten Momente meines bisherigen Lebens, wie auch die schrecklichsten. Ich bin sehr froh, dass ich mich für den Weg ein Jahr nach Chile zu gehen, entschieden habe. Im Moment ist es noch sehr unvorstellbar meine Freunde und meine neuen Familie hier bald zurück zu lassen und ich bin mir sicher, dass es sehr weh tun wird. Aber trotzdem freue ich mich sehr bald wieder zu Hause zu sein. Ich habe meine Eltern und meine Freunde zu Hause so unfassbar zu schätzen gelernt. Ich denke, das ist, neben vielen anderen Sachen, was ich als größte Lehre mitnehme, wenn es wieder nach Deutschland geht. Familie ist ALLES. Und auch wenn sie am anderen Ende der Welt ist, ist sie trotzdem immer da.

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