Chile – 2. Bericht von Leticia

Es sind noch drei Tage bis Weihnachten. Normalerweise würde ich in dieser Zeit vollauf damit beschäftigt sein, die letzten Plätzchen zu verzieren, den Weihnachtsbaum zu schmücken und mit der Familie im gemütlichen Beisammensein Adventslieder zu singen.

Nur sieht es dieses Jahr für mich in Chile etwas anders aus. Tatsächlich wird hier das Weihnachtsfest völlig anders gefeiert und die Traditionen, die für mich Weihnachten ausmachen, sind hier weitestgehend unbekannt. Natürlich haben die meisten Familien einen kleinen Plastikweihnachtsbaum und schenken sich etwas zum Festtag, doch darüber hinaus trifft man sich auch während er Feiertage täglich mit Freunden am Strand, geht Surfen und freut sich auf die dreimonatigen Sommerferien. Der Adventskalender, den mir meine Familie aus Deutschland im Weihnachtspaket geschickt hat, wirkt da etwas fehl am Platz.

Nun lebe ich schon vier Monate in La Serena, meiner Stadt im Norden Chiles und kann sagen, dass man immer wieder verrückten Geschehnissen begegnet und dass diese meiner Meinung nach das Auslandsjahr zum größten Abenteuer und zur besten Erfahrungen meines bisherigen Lebens machen! Was mir vor meinem Auslandsjahr unvorstellbar vorgekommen ist, wird auf einmal zur Realität, zur Normalität und sogar zur Gewohnheit. Weihnachten im Sommer, ein mir vorher völlig unbekanntes Land meine zweite Heimat zu nennen, eine neue Sprache zu sprechen und zu verstehen – all das und mehr waren für mich Sachen, die mir vor meinem Auslandsjahr unvorstellbar, ja sogar verrückt vorkamen und jetzt ein Teil meines Alltags geworden sind.

Mir fällt immer wieder auf, wie glücklich ich bin, ein Jahr in Chile verbringen zu dürfen. Es ist ein wunderschönes Land und birgt von Antarktis bis Wüste, von Bergen bis Meer, alles. So vielfältig die Natur ist, so vielfältig sind auch die Menschen, denen man begegnet. Dadurch, dass Chile ein sehr sicheres Reiseland ist, habe ich die Möglichkeit, die Menschen und die Landschaft intensiv kennen zu lernen. In den letzten vier Monaten habe ich mehr gesehen als je in meinem Leben zuvor. Das Highlight war mit Abstand die Reise auf die Osterinsel mit meiner Klasse. Auf der Insel ist das Leben ganz anders als in Chile, oder wie ich es bisher kannte. Ureinwohner verkaufen ihren Schmuck, viele sind noch mit dem Pferd unterwegs, man kann als Tourist mit Süßigkeiten handeln, weil es hier so gut wie keine gibt und die Meisten, der hier Lebenden haben noch nie das Festland betreten. Es war ein großartiges Erlebnis und hat die Beziehung zu meinen Klassenkameraden sehr gestärkt. Momentan bin ich mit meiner Familie in Santiago, bald geht es mit Rotary nach Patagonien. Es kommt einem schier unglaublich vor, mit nur 16 Jahren die Chance zu bekommen, so etwas zu erleben! Auf dem Rückweg von Santiago mit meiner Familie, es war mittlerweile der Weihnachtstag, haben wir zwei junge Tramperinnen mitgenommen, denn sie wollten auch zufällig nach Coquimbo. Sie hatten noch keine Bleibe für die Nacht und einen sehr anstrengenden Tag hinter sich und weil Weihnachten war, fragten meine Gasteltern sie, ob sie Lust hätten bei uns zu schlafen und mit uns gemeinsam zu feiern. Diese Gastfreundschaft hat mich mehr als überwältigt und hat das Weihnachtsfest noch einzigartiger gemacht, als es eigentlich schon war. Es war ein toller Abend und obwohl ich vorher ein bisschen gebangt habe, ob und wie das hier gefeiert wird, war es wie bei uns ein Fest der Freude und Familie!

Mit der Zeit habe ich ein sehr enges und vertrautes Verhältnis zu meiner Familie hier in Chile aufgebaut. Sie helfen mir sehr, meine Vorhaben zu verwirklichen und gehen immer sehr liebevoll mit mir um. Trotzdem gibt es auch Momente, in denen ich mich etwas einsam fühle und ich mir wünsche, jemanden aus meiner vertrauten Umgebung da zu haben. Allerdings habe ich gemerkt, dass es da sehr hilfreich ist, sich nicht in seinem Zimmer zu verkriechen, sondern sich mit anderen Dingen zu beschäftigen. Ich gehe oft am Meer spazieren, weil es mir hilft meine Gedanke zu sortieren und mich abzulenken. Man sollte darauf gefasst sein, irgendwann, in irgendeiner Weise von Heimweh erfasst zu werden. Doch man sollte auch versuchen, an einem bestimmten Punkt abzuschalten und diese Gefühle nicht zu sehr an sich heranzulassen.

Abschließend zu meinem zweiten Bericht möchte ich noch ein schönes Erlebnis der Vorweihnachtszeit schildern: Ich war mit den anderen Austauschschülern und den Rotariern aus meinem Club in einem Kindergarten eines sehr armen Viertels meiner Stadt. Wir haben Geschenke an die Kinder verteilt, für die meisten das einzige zu Weihnachten und die Freude war auf ihren Gesichtern abzulesen. Es war eine sehr schöne Geste von Rotary, hat einem aber auch gleichzeitig gezeigt, dass nicht jeder das Privileg hat, ein Auslandsjahr erleben zu dürfen und ich dies schätze, sowie als Gelegenheit sehe, möglichst viel daraus mitzunehmen!

Leticia Klose, 30.12.2018

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