Chile – 3. Bericht von Leticia

Noch eine kurze Zeit -Wie waren meine Erfahrungen in diesem Jahr?

Um genau zu sein, liegen noch 113 Tage, 21 Stunden und 32 Minuten bis zu dem Tag vor mir, an dem ich ein für alle Mal Abschied nehmen muss von diesem wunderschönen Land, meinen Freunden und meiner Familie. Bis es jedoch soweit ist, schaue ich lieber für einige Augenblicke auf die 210 Tage, 16 Stunden und 47 Minuten, die schon hier verbringen durfte. Eine Zeit, die mein Leben verändert hat. Eine Zeit, die nur noch in meinen Erinnerungen und Erfahrungen besteht und unaufhaltsam dahin schreitet, was mir manchmal, in Momenten des Reflektierens, in aller Heftigkeit bewusst wird. In der Philosophie wird die Erfahrung als das Wissen bezeichnet, das wir durch Anschauung, Wahrnehmung und Empfindung gewonnen haben und die Grundlage unserer Erkenntnis ist. Auch ich habe in den vergangenen Monaten einen ungeheuren Erfahrungsreichtum angesammelt. Es ist einfach unbeschreiblich, wie intensiv diese Erfahrungen mein Auslandsjahr, ja mein gesamtes Leben bereichert haben. Besonders in den letzten drei Monaten habe ich viel erlebt, da ich drei Monate Sommerferien hatte und so viel Neues gesehen, entdeckt und gelernt habe. Eine der größten Ereignisse waren die Reise nach Patagonien mit den anderen Austauschschülern aus meinem Distrikt und die Reise mit meiner Gastfamilie bis in die Atacama Wüste. Meiner Meinung nach macht es gerade die besten Erfahrungen aus, dass man sie mit den Menschen teilen darf, die einem hier so ans Herz gewachsen sind. Ich habe es auch als sehr bereichernd, wenn auch nicht immer einfach, empfunden, in gewissen Situationen ganz auf sich gestellt zu sein. Selbstverständlich kann man sich auf den Rückhalt seiner Familie und Freunde verlassen, aber oftmals kommt es allein auf die innere Stimme und die eigenen Entscheidungen an, die man treffen muss, um den weiteren Weg zu gehen. Vor allem in den ersten Wochen musste ich mich daraufeinstellen, was es heißt alleine zurechtzukommen. Anfangs fiel mir das recht schwer, z.B war ich immer ziemlich nervös, wenn ich jemanden auf Spanisch ansprechen musste oder nach etwas gefragt habe, da ich mir immer unsicher war, ob ich die richtigen Zeitformen verwende und ob die anderen mich überhaupt verstehen, aber schon bald habe ich gemerkt, dass es vor allem darauf ankommt sich zu öffnen und es nicht schlimm ist, Fehler zu machen, denn aus diesen lernt man und die anderen helfen dir dabei dich zu verbessern. Daraus entstehen dann wieder ganz neue, völlig fremde Erfahrungen, die ein Stück weit klüger machen und einen Unabhängigkeit und Selbstständigkeit gewinnen lassen. Auch erlangt man über Erfahrungsgrenzen zunehmend Erkenntnisse über die eigene Identität. Ich habe in den vergangenen Monaten viel über mich selbst gelernt, wo Beispielsweise kleine unbekannte Talente liegen oder wo entlang sich die Grenzen der persönlichen Komfortzone erstrecken. Denn nicht alle Erfahrungen, die wir sammeln, müssen zwangsläufig positiv sein. Für mich war z.B. die Ignoranz gegenüber unserer Umwelt in Chile schockierend zu sehen. Flaschen und Müllsäcke werden wie selbstverständlich an Straßenecken entleert und ist mal kein Mülleimer zur Nähe, lässt man sein Abfall einfach fallen, ohne sich weiter darüber Gedanken zu machen. Das hat mir gezeigt, wie weit wir noch davon entfernt sind, unsere Umwelt ein Stück weit besser zu machen. Es beginnt bei jedem Einzelnen, dabei mitzuhelfen, aber das allgemeine Bewusstsein muss aus der Gesellschaft kommen und kann deswegen so stark zwischen den Kulturräumen variieren.

Um die letzten Monate zusammen zu fassen, empfinde ich den Ausspruch von Eugene Ionesco als äußerst passend: „Wir glauben Erfahrungen zu machen, aber die Erfahrungen machen uns.“. Sowohl die positiven als auch die negativen Erfahrungen lassen uns wachsen und formen uns zu der Person, die wir jetzt sind. All die Erlebnisse, Wahrnehmungen und Begegnungen, die ich in den letzten sieben Monaten erfahren durfte, haben mein Charakter gestärkt und mich selbstbewusster werden lassen. Vor allem aber haben sie meinen Horizont um Welten erweitert und mir die Sicht auf die unterschiedlichsten Situationen des Lebens geben.

Jetzt bin ich gespannt, was noch alles in den nächsten vier Monaten auf mich zukommt und genieße die Zeit bis zu meiner Rückreise in vollen Zügen!

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