Taiwan – ein letztes „Ni Hao“ von Laura Sophie

Hualien, 26.06.2013

Sehr geehrter Herr Beyer, liebe Rotexmitglieder,
sowie alle weiteren Mitglieder des Distrikt 1880, 

es ist so weit. Das Ende meines Austauschs steht bevor, in weniger als fünf Tagen bin ich wieder zurück in Deutschland. Ein letztes Mal schreibe ich Ihnen aus Taiwan, halte noch ein letztes Mal fest, was in den vergangenen drei Monaten alles passiert ist.

Wie ich schon bereits im letzten Bericht vermutet hatte, ist die Zeit nur so dahingerast und ich frage mich nun wo das Jahr hin ist, dem ich so lange entgegen gefiebert hatte. Im August vergangenen Jahres bin ich hier angekommen, habe ein neues, ja man kann sagen Leben, angefangen, habe erwartungsvoll in die Zukunft geschaut und nun ist diese Zukunft Vergangenheit, vollgepackt mit Erinnerungen, Eindrücken, Erfahrungen und dieses neue Leben so gut wie vorbei. Ich erinnere mich noch genau an den Moment, als ich in dem Haus meiner ersten Gastfamilie ankam, ins Bett fiel, und von der Erkenntnis überwältigt wurde zehn ganze Monate hier verbringen zu werden. Zehn Monate. Ich dachte es wäre ewig. Heute weiß ich, dass es nicht viel mehr als ein Wimpernschlag ist. Vor Kurzem fand ich ein Zitat, das meiner Meinung nach genau das sehr zutreffen beschreibt: „The trouble is, you think you have time.“ – Buddha –

Doch nun zu dem was ich in den vergangen drei Monaten noch erleben durfte. Vieles hatte ich ja bereits in meinem letzten Bericht schon angekündigt. Anfang April ging es auf erste Inseltour, drei Tage verbachten wir auf den nordwestlich gelegenen Penghu-Inseln. Wir verbrachten viel Zeit auf dem Wasser, was einigen gar nicht gut bekam. Doch alles in allem war es eine schöne Reise, vor allem weil wir Leute aus Hualien endlich einmal die Möglichkeit hatten mehr Zeit mit den anderen Austauschschülern aus dem Distrikt zu verbringen, da die meisten von uns im relativ weit entfernten Taipei leben. Direkt im Anschluss fand unsere Distriktkonferenz in Hualien statt. Natürlich waren alle von der Reise stark übermüdet und viele hatten sich auf dem Boot erkältet, aber es war trotzdem sehr schön. Ab ungefähr diesem Zeitpunkt begann mein Leben hier stressig zu werden. Die Multidistriktkonferenz musste geplant werden, es wurde entschieden, dass ich diejenige sein würde die die Austauschschüler aus allen vier Distrikten unseres Multidistrikts sein würde, die eben diesen repräsentieren sollte. Somit musste ich noch einmal an meiner Rede arbeiten, überarbeiten und viel üben. Dazu kam, dass ich ja auch noch die Moderation vorbereiten musste, gemeinsam mit einem anderen deutschen und einer taiwanesischen Reboundschülerin. Von da an war ich also öfter in Taipei. Doch Ende April ging es erst einmal auf Klassenfahrt, was wider Erwarten sehr lustig war und mir wirklich Spaß gemacht hat. Normalerweise verbringen taiwanesische Schüler ihre Freizeit am liebsten mit Computerspielen und auf Grund der Bildung, meiner Meinung nach, werden sie hier nicht richtig zum selbst Denken animiert, sodass ich normalerweise nicht viel Zeit mit meinen Klassenkameraden verbrachte, doch die Woche mit ihnen war wirklich schön! Wir reisten in den Süden Taiwans, wo es unglaublich warm war und besuchten mehrerer Städte und Vergnügungsparks. Und dann rückte die Multidistriktkonferenz auch schon immer näher und ich wurde immer nervöser. Mehrere Male fuhr ich nach Taipei, besuchte verschieden Meetings um meine Rede zu verbessern und gemeinsam mit den anderen zwei an der Moderation zu arbeiten. Auch wenn ich in dieser Zeit wirklich viel Stress hatte und unter Druck stand (meine Mama hatte zu Beginn des Jahres gesagt, ich solle in Taiwan doch die Chance nutzen ein bisschen mehr zur Ruhe zu kommen, das ist dann wohl nach hinten losgegangen, haha), habe ich mich sehr gefreut öfter in Taipei zu sein. Taipei ist eine atemberaubende Stadt, mit unendlich vielen Möglichkeiten. Es ist ein unbeschreiblicher Unterschied ob man das Jahr in Taipei lebt, oder in Hualien „auf dem Land“. Wer in Taipei lebt, kann kaum behaupten, dass er Taiwaner ist, so groß ist der Unterschied. Und das sagen selbst die Taiwanesen, es gibt Taiwanesen und Taipenesen. Taipei ist modern, laut, geschäftig und schläft nie. Kein Vergleich zu Hualien. Ich habe das Leben in der Großstadt genossen, die U-Bahn, die vielen Menschen und natürlich die Zeit mit den anderen Austauschschülern. Jedes Mal wenn ich dann im Zug zurück nach Hualien war, wurde ich doch etwas wehmütig.
Die Distriktkonferenz war letztendlich ein riesengroßes Ereignis, und wenn ich jetzt im Nachhinein darauf zurückblicke, bin ich doch irgendwo auch ein wenig stolz auf mich. Ich habe eine Rede vor vielen hunderten Menschen aus vielen verschiedenen Ländern, in einer Sprache, die nicht meine Muttersprache ist, gehalten und versucht so gut wie möglich meine Erlebnisse hier zu beschreiben. Es war ein unbeschreiblich schönes Gefühl (ich verwende sehr oft das Wort „unbeschreiblich“, aber so ist es tatsächlich, es ist so schwer in Wort zu fassen, was ich alles erlebt habe, ich hoffe Sie können mir das verzeihen.)als ich auf die Bühne kam und mein ganzer Distrikt für mich gejubelt hat, meine Freunde und Familien aus Hualien hatten mir sogar Schilder gebastelt. Die Leute haben während meiner Rede gelacht, applaudiert, was mir viel Selbstvertrauen gegeben hat und ich so meine Rede bestmöglich präsentieren konnte. Am Abend wurden dann die Präsentationen der Austauschschüler aller Distrikte aufgeführt, die wir zu dritt moderierten, auch das klappte einwandfrei. Auch ich habe ein letztes Mal den lang einstudierten Tanz mit den In- und Outbounds aus Hualien präsentiert, wie schon im April bei der Distriktkonferenz. Am darauffolgenden Tag fanden noch Diskussionsrunden statt, zu Themen wie Chinesisch Lernen und Tipps für die Outbounds. Alles in allem ein wunderschönes Wochenende. Nebenbei zu erwähnen, es war auch schön einmal die ganzen Deutschen wieder zu sehen und Erfahrungen auszutauschen.
Nach diesem Wochenende war mir dann eine große Last von den Schultern genommen und noch schöner war das Gefühl es alles gut gemeistert zu haben. Das ganze Wochenende über wurde ich dann noch von den verschiedensten Leuten auf meine Rede und meine guten Chinesischkentnisse angesprochen.
Doch mit dem Ende des Wochenendes begann auch die Uhr lauter zu ticken. Fünf Wochen waren es damals noch. Zwischendurch hatte ich auch noch Geburtstag, was reichlich verrückt war. So zelebrierten wir meinen 17.Geburtstag bereits einen Tag vorher und ich fand es so gar nicht lustig, dass mir alle schon im Voraus gratulierten, sagen wir doch in Deutschland, dass es Unglück bringt. Doch hier in Taiwan sieht man das nicht so eng. Meine Lehrerin schenkte mir eine wirklich riesen große Torte und meine zweite Gastfamilie organsierte eine kleine Feier mit all meinen Freunden und Familien. Meinen tatsächlichen Geburtstag verbrachte ich dann zu großen Teilen im Bus, da unser Club einen Ausflug ans andere Insel der unternahm um einen anderen Rotaryclub zu besuchen. An diesem Tag sagte niemand „Happy Birthday“ zu mir. Sehr seltsam, aber auch solche Erfahrungen muss man gemacht haben.
In der ersten Juniwoche ging es dann auf unsere große Abschlusstour, auf die ich mich schon lange gefreut hatte. Und es war wirklich eine der schönsten Reisen, die ich je gemacht habe. Vom Norden in den Westen, nach Süden zurück in den Osten ging es über die ganze Insel. In den sieben Tagen habe ich so viel gesehen, erlebt. Wir waren Rafting, ein Art paddeln, haben eine Jeeptour gemacht, haben am Strand von Kenting in die Sterne geschaut, sind im Neoprenanzug durch eine Grotte gelaufen und noch vieles mehr. Und all diese unvergesslichen Momente habe ich mit Menschen verbracht, die genauso sind wie ich. Ähnliche Ziele haben, mich verstehen, weil sie genau das gleiche erlebt haben, Menschen, die ich ins Herz geschlossen habe, meine Familie nenne und die ich so sehr vermissen werde, dass es jetzt schon weh tut. Es war eine Woche, die ich mit Sicherheit nicht vergessen werde. Zum Glück hatten wir einen Fotografen von Rotary dabei, der alles für uns festgehalten hat.
Doch irgendwann ist auch die schönste Reise vorbei. Und dann waren es nur noch drei Wochen, das Ticken unüberhörbar. Man versucht nicht an das Unausweichliche zu denken, dem Ende nicht ins Gesicht blicken zu wollen. Doch es fällt schwer wenn es einen von allen Seiten anspringt. Wir fuhren zum Flughafen, verabschiedeten uns von den ersten Freunden, überall wurde ich gefragt „Wann fliegst du zurück nach Hause?“ Schon bevor ich überhaupt angesprochen wurde, wusste ich was ich zu sagen hatte: 29.6. Dieses Datum wusste ich schon, bevor ich überhaupt hier war, ja, sogar die Abflugzeit. Doch nur weil man etwas weiß, heißt es nicht, dass es deswegen weniger weh tut. Ich wusste, dass es irgendwann vorbei ist, wusste, dass ich irgendwann zurück nach Hause kam. Nur  irgendwie kam irgendwann viel zu schnell. Und das bloße Wissen, darüber, dass etwas vorbei sein wird, linder noch lange nicht den Schmerz und die Trauer, die ich empfinde, bei dem Gedanken, alles unwiderruflich zurücklassen zu müssen. Natürlich kann ich zurückkommen, doch es wird nie wieder das Gleiche sein, ich werde nie wieder der Austauschschüler sein, der ich jetzt noch bin.
Die letzten drei Wochen habe ich also versucht so viel wie möglich Zeit mit meinen Freunden zu verbringen, war noch ein letztes Mal in Taipei, habe die restlichen Mitbringsel gekauft, meine letzten Deutschstunden gegeben (Schon im November hatte ich begonnen, einer Englischlehrerin an meiner Schule Deutschunterricht zu geben und im Frühling kam nun eine Outboundschülerin dazu, die, wie sich kürzlich rausstellte sogar in unseren Distrikt in Deutschland kommen, was mich natürlich unsagbar glücklich macht. So habe ich für das kommende Jahr noch ein kleines Stück Taiwan ganz in meiner Nähe, in Weißwasser.), Koffer gepackt, versucht die verbleibende Zeit in vollen Zügen zu genießen.
Und nun sitze ich hier, schreibe meinen letzten Bericht. Nicht einmal mehr 80 Stunden die mir hier in Taiwan noch bleiben. 80 Stunden, die ich noch Austauschschülerin bin. 80 Stunden bevor ich zurück nach Deutschland muss. 80 Stunden bevor ein Leben vorbei ist und ein neues anfängt. Mit dem Unterschied, dass ich zu dem Leben hier nie wieder zurückkehren kann, wohingegen ich zu meinem Leben in Deutschland immer wieder zurückkommen kann werde, ob ich nun will oder nicht. Denn dass sich meine Lust auf Deutschland in Grenzen hält, dürfte in den vorhergegangen Zeilen wohl kaum zu überlesen gewesen sein. Nicht, weil ich Deutschland nicht mag. Ich bin unglaublich stolz auf mein Vaterland, meine Sprache, meine Kultur. Nur ist es die Trauer über alles was ich zurücklassen muss, die überwiegt. Es war kein Jahr in einem Leben. Es war ein Leben in einem Jahr. Ein Traum, dem ich so lange entgegengefiebert habe, der viele Jahre eben wirklich nur ein Traum war, bis er letzten Sommer Wirklichkeit wurde. Doch nun ist es an der Zeit Aufzuwachen. Aufzuwachen, und einen neuen Lebensabschnitt zu starten, nach Hause zu kommen, um dann zu neuen Abenteuern aufbrechen zu können. Mit all‘ den wunderschönen Erinnerungen, Erfahrungen, die mich geprägt haben, mich wachsen haben lassen und ja, mich auch irgendwo zu mir selbst geführt haben. Und das was mich jetzt am traurigsten macht, ist eigentlich das, was mich am glücklichsten machen sollte. Der Gedanke, dass alle meine Freunde, wirklich gute Freunde, auf der ganzen Welt verteilt sind, sollte mich nicht unglücklich stimme, sondern ich sollte froh sein, so viele Freunde in der Welt zu haben, Orte, die ich bereisen möchte. Nur das Abschied nehmen fällt erst mal schwer. Doch vielleicht ist es gar kein „Goodbye“, sondern nur ein „See you later.“
Ich habe in dem vergangenen Jahr sehr viel erreicht, auf was ich heute sehr stolz bin. Ich habe im November gemeinsam mit einem andern Deutschen, (der mich bei vielen weiteren Aktivitäten begleitet hat und heute ein guter Freund ist) vor laufender Kamera die Rede zu unserer Coming-of-age-ceremony gehalten, habe einen T-Shirt-Wettbewerb gewonnen, dessen T-Shirt gedruckt, verkauft und der Erlös einer Kampagne für Alzheimer zu Gute kam, ich habe die beste outstanding-Rede im März gehalten, alle Inbounds des Multidistrikts mit meiner Rede repräsentiert und war einmal im Leben Moderatorin. Und all‘ das, verdanke ich Ihnen. Und dafür möchte ich mich noch einmal recht herzlich bedanken! Auch wenn ich Taiwan nicht gewählt hatte, hätte mir wohl kaum etwas Besseres passieren können. Die Chancen, Möglichkeiten und Erfahrungen, die mir hier geboten wurden, sind mit nichts aufzuwerten. Es ist nicht in Worte zu fassen, was ich Ihnen und Ihrer Unterstützung verdanke und alles was mir bleibt, ist „DANKE!“ zu sagen. Danke, für alles, was ich hier erleben durfte. Danke, für ein Jahr Lebenserfahrung! Danke, für ein Jahr in der Fremde, die nun mein zweites zu Hause ist. Danke, für die Möglichkeit Chinesisch lernen zu können! …Ich könnte noch einen ganzen weiteren Bericht damit füllen, doch ich fasse es jetzt zusammen: 謝謝! XieXie! Danke!
 Nun bleibt mir nicht mehr viel übrig, als die letzten Stunden mit Freunden und Familie zu verbringen, versuchen ein Leben in zwei Koffern zu verstauen (und hoffen, dass sie auch zu gehen) und mich so gut es geht an den Spruch einer lieben Freundin zu halten: „Weine nicht, weil es vorbei ist, sondern lächle, weil es so schön war.“
 

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Zum letzten Mal,
mit freundlichen Grüßen,
Laura Sophie Ritter
林加佳

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