Chile – 4. Bericht von Katharina

„Und freust du dich schon wieder auf Deutschland?“

Die Frage der Fragen, die seit ein paar Wochen über meinem Auslandsjahr schwebt. Nahezu jeder hat sie mir schon gestellt und alle haben eine Antwort bekommen, die nicht im Geringsten meine wahren Gefühle und Gedanken ausdrücken kann. Und so wird auch dieser Bericht nur ein kleiner Ausschnitt sein von den ganzen Emotionen, die mich hier zurzeit erschlagen.

Mein Flug ist in weniger als zwei Wochen und auch wenn das Datum schon seit langem in meinem Kopf festverankert ist, so kann ich es doch noch immer nicht realisieren. Von einem Tag auf den anderen werde ich wieder dort sein, wo ich vor einem Jahr stand. Dort wo ich mein ganzes Leben verbracht habe mit all den Personen, die ich so gut kenne und liebe.

Doch wird es wieder so sein wie vorher? Wird es je wieder so sein? Was mache ich mit all diesen Erfahrungen, die ein wichtiger Teil von mir sind und die für niemanden verständlich sind?

Ich weiß, dass ich mich zurzeit nur an Vermutungen festhalten kann, was mein Leben nach dem Auslandsjahr betrifft, doch all meine Gedanken drehen sich nur um dieses Thema. Ich sehne mich auf der einen Seite danach wieder vollständig integriert zu sein, mich richtig ausdrücken zu können und intuitiv zu wissen was zu tun ist. Zusammengefasst schaue ich der Einfachheit meines Lebens in Deutschland entgegen. Doch all diese Sehnsucht und Freude bringt auch ihre Schattenseiten mit sich. Es wird mir fehlen jeden Tag irgendwas Neues zu erleben, ohne jeglichen Schulstress durch die Wochen zu ziehen und natürlich tut es weh Freunde und Familie hier zurückzulassen. Doch die ganzen kleinen Details, die ich schon gar nicht mehr wahrnehme, werde ich wohl erst richtig vermissen, wenn ich wieder zurück in der Heimat bin. So wie ich auch hier erst richtig gelernt habe all das wertzuschätzen, was ich in Deutschland habe. Zum Glück habe ich nicht die Wahl, ob ich hierbleibe oder gehe, denn ich könnte keine Entscheidung treffen, die mich vollends glücklich machen würde.

In Chile habe ich unglaublich viel gelernt. Eine neue Sprache, eine neue Kultur und natürlich habe ich wahnsinnig viele und unterschiedliche Menschen kennengelernt. Doch vor allem habe ich sehr viel über mich selbst gelernt. Noch nie habe ich so viel über meine Aktionen und Reaktionen reflektiert wie in diesem Jahr. Ich würde gerne wie alle anderen Austauschschüler behaupten können, dass ich offener selbstständiger und selbstbewusster geworden bin, doch in meiner jetzigen Situation kann ich das leider nicht mit Gewissheit sagen. Um das festzustellen muss ich erst in mein „altes Leben“ zurückkehren. Doch was ich jetzt schon sicher weiß ist, dass ich ohne Zweifel unabhängiger geworden bin.

Ich will niemanden etwas vormachen und muss ehrlich sagen, dass ich in meinem Auslandsjahr auch tief enttäuscht wurde. Jedoch würde ich nicht so weit gehen die Schuld auf Chile selber zu schieben, sondern an meine hochgestochenen Erwartungen an den Austausch und auch mich selber. Zwischendurch hat mich diese Unzufriedenheit sehr mitgenommen, das kann ich nicht leugnen. Mein Problem, was sich durch das ganze Jahr gezogen hat, ist, dass ich nie ein vollwertiges Mitglied meiner Klasse war und niemanden von meinen Mitschülern als wahren Freund bezeichnen kann. Ich will nicht weiter darauf eingehen, weil ich die Umstände nur aus meiner subjektiven Sicht schildern kann und nun wo ich am Ende meines Austausches stehe, spielt es auch keine große Rolle mehr. Dennoch will ich diesen Aspekt nicht verschweigen, weil er eine große Rolle in meinem Auslandsjahr gespielt hat. Doch ich hatte immer meine zwei Gastfamilien und meine beste Freundin an meiner Seite, die mich liebevoll unterstützt haben und für mich da waren. Ich weiß, dass ich ohne diese Personen wohl schon früher im Flugzeug gesessen hätte.

Nun stehe ich hier am Ende meines Austauschs mit zwei verschiedenen Leben, einem in Deutschland und einem in Chile, und bin doch nur eine Person, die nie beide auf einmal leben kann. Weder gehöre ich jetzt wirklich zu Chile, noch zu Deutschland mit vollstem Herzen. Am Anfang meines Auslandsjahres dachte ich es wäre schwer mein deutsches Leben für ein Jahr zurückzulassen, doch nun weiß ich, dass es umso schwerer ist Chile auf ungewisse Zeit den Rücken zuzukehren. Wie gerne würde ich die Zeit hier mit meiner Abreise einfach einfrieren und sie wieder auftauen bei meiner Rückkehr. Und auch wenn Chile für mich so etwas wie ein „magischer Ort“ geworden ist, so ist er es leider nicht und alle hier werden ihr Leben normal weiterführen…ohne mich.

Ich bin definitiv noch nicht bereit in die Realität zurückzukehren, doch das würde ich wohl nie sein. Wahrscheinlich wird keiner von den Austauschschülern je sagen, dass er genug Zeit in seinem Austausch hatte. Doch weder lohnt es sich trübsinnig in die Zukunft, noch in die Vergangenheit zu blicken. Und ich denke auch besonders diesen Aspekt hat mich das Auslandsjahr gelehrt und zwar für den Moment zu leben.

Ob ich glücklich und zufrieden bin mit meinem Austausch lässt sich nicht so einfach beantworten, umso leichter fällt mir jedoch die Antwort auf die Frage, ob ich es bereue für ein Jahr allein in ein fremdes Land gegangen zu sein. Und nein, das tue ich definitiv nicht. Ich würde mich immer wieder, ohne Zögern, dafür entscheiden.

Nun zum Schluss will ich mich nur noch bedanken bei allen die mir dieses unvergessliche Abenteuer ermöglichten und mich das ganze Jahr über unterstützt haben.

Liebe Grüße und auf ein baldiges Wiedersehen,

Katharina Kirmes

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