Brasilien – 4. Bericht von Sören

Die letzten Monate meines Austauschjahres verbrachte ich in meiner dritten Gastfamilie. Nachdem ich mich mit der selben seit Anfang an sehr gut verstanden hatte, gab es auch weiterhin keine Probleme. Zudem war ich eine Woche mit meinem Gastbruder in Sao Paulo, da er dort einen Weiterbildungskurs besuchte (Zahnarzt). An den Nachmittagen gingen wir die Sehenswürdigkeiten Sao Paulos ab wie z.B. die U-Bahn, Parque Ibirapuera, Edifício Itália, Programa do Faustao (Globo), rua 25 de marco, Avenida Paulista, Catavento, Pinacoteca, Livraria cultural, … . Es war eine sehr eindrucksvolle Zeit, zählt SP doch zu den größten Städten der Welt.

Eine Woche später begann die Reise in den Amazonas. Bereits am Flughafen in SP traf ich einige gute Freunde wieder, die ich von der ersten Reise kannte. Und natürlich sollten auch neue Freundschaften geschlossen werden. Es wurde eine neuntägige sehr schöne Reise, welche uns viele beeindruckende Erlebnisse bieten sollte . Einen Tag in Manaus, einen Tag in Presidente Figueredo und sieben Tage auf einem Boot im Fluss Solimoes. Wir besuchten die einheimischen Stämme, bekamen wilde Tiere zu Gesicht und verkosteten die typischen Gerichte dieser Region.

Im darauffolgenden Monat beehrte der Präsident des Distriktes 4770 ein weiteres mal unsere kleine Stadt mit einem Besuch. Diesmal zu einem Treffen der Clubs der Umgebung. Ein wenig später fand das letzte Treffen der Austauschschüler in Caldas Novas, Goiás statt. An sich sehr schön, leider waren zu diesem Zeitpunkt einige meiner besten freunde bereits abgereist.

In der letzten Woche besuchte mich mein Vater in meiner kleinen Stadt. Es gab mehrere Abschiedspartys mit meinen Familien und Freunden (besonders schwer fiel mir der Abschied von meiner guten Freundin und Austauschschülerin Monse aus Mexiko). Aber erst in der Stunde des Abschieds und wenn auch die härtesten Freunde eine Träne verdrücken müssen, merkt man wie sehr man seine neugewonnene Heimat liebt. Der Satz „ Ein Austauschjahr ist nicht ein Jahr in einem Leben, sondern ein Leben in einem Jahr“ bekam für mich eine viel grössere Bedeutung als ich anfangs gedacht hätte. Für mich hatte sich diese Aussage immer auf die Menge an Erfahrungen und Erlebnissen welche einem in so einem Jahr widerfahren bezogen und natürlich auch darauf dass man erwachsener wird. Doch ich habe noch eine weitere Parallele für mich ziehen können und zwar zum Ende des Lebens.

Am Ende eines Lebens kann man nichts rückgängig machen, man lebt von den Erinnerungen und wünscht sich manche Dinge getan zu haben oder eben auch nicht. Und genau so sehr weiß man, dass man nicht mehr viel verändern wird und auch für die Zukunft keine Pläne mehr braucht. Genau wie am Ende des Austauschjahres, nur mit dem Unterschied dass man nach dem Jahr die Chance hat, es im echten Leben besser zu machen.

Ich hatte vorher schon oft davon gehört dass Menschen, die im Sterben liegen, sich nichts sehnlicher wünschen, als gewisse Dinge anders gemacht zu haben. Solch einer Erfahrung am eigenen Leib ausgesetzt zu sein war ein sehr spezielles Gefühl. Aber es öffnet einem die Augen.

Wenn man mein Leben mit meinem Jahr in Brasilien vergleicht, so stünde ich mit meinen 17 Jahren aktuell im zweiten Monat. Im zweiten Monat denkt man, man habe unglaublich viel Zeit und die hat man auch. Aber nicht wenn man alles immer voraus schiebt. Dann hat man keine Zeit, doch das merkt man erst, wenn man wirklich keine mehr hat und das ist ein wenig spät.

Diese Erfahrung ist wohl die wichtigste, die ich im vergangen Jahr gewonnen habe. Neben dem bereits oben erwähnten „Erwachsener-werden“ , den zahlreichen wundervollen Momenten, Erlebnissen, Erfahrungen und Freundschaften auf der ganzen Welt versteht sich.

Oben beschriebenes soll selbstverständlich nicht bedeuten, dass ich unzufrieden mit meinem Jahr bin, das komplette Gegenteil ist der Fall. Aber trotzdem, ein bisschen Reue ist schon da, einiges versäumt zu haben. Und ja, einhundert Prozent sind immer schwer zu erreichen, aber man kann doch wenigstens versuchen, so nah wie möglich heranzukommen.

Zusammenfassend kann ich nur sagen, dass das vergangene Jahr eine absolut wundervolle Zeit war. Ich wurde mit so viel Liebe in meine Familien und von den Menschen aufgenommen. Ich habe nicht nur über sondern auch von einer anderen Kultur gelernt und nicht nur über eine andere Kultur sondern auch sehr viel über die eigene und nicht nur über Kulturen sondern auch sehr viel über mich. Und außerdem ist mir bewusst geworden, dass Kultur nur im und durch den Menschen lebt und nirgendwo sonst.

Seit beginn des Austauschjahres war ich darauf aus, das Beste mögliche daraus zu machen und einfach eine schöne Zeit zu haben. Und im Nachhinein kann ich nur sagen, dass es so geworden ist wie ich es mir wünschte, aber doch ganz anders als ich es mir vorgestellt hatte.

Viele haben mich bemitleidet, da ich in einer solch überschaubaren Stadt und nicht In Rio de Janeiro oder Sao Paolo meine Zeit verbrachte.

Ich kann mich nur immer dagegen wehren und betonen, wie gut ich es finde in einer kleinen Stadt gewesen zu sein. Es ist viel sicherer, man kann viele Strecken zu Fuß bewältigen, man trifft Leute auf der Straße, die man kennt, es ist viel einfacher sich einzuleben, da jeder jeden kennt. Um keinen Preis der Welt hätte ich mit jemandem getauscht, der in SP untergebracht war. Eine Woche in dieser Metropole war ausreichen für mich. Ich habe so viele Austauschschüler auf meinen Reisen kennengelernt, die in großen Städten untergebracht waren. Viele kamen nicht gut mit ihren Familien aus, durften das Haus aus Sicherheitsgründen nicht verlassen, hatten keinen (guten) Sprachunterricht, kannten ihren Counselor nicht oder fanden keinen Anschluss an die Kultur und das Leben. Zudem kommt noch, dass sich in großen Städten viele Austauschschüler ballen und nur Englisch reden. Das ist vielleicht gut für internationale Kontakte aber doch wohl eher hinderlich beim Einleben in die neue Kultur.

Ein Missstand, der mir oft begegnet ist, sind Leute, die gesagt haben dass das das Austauschjahr Zeitverschwendung sei, da man ein Jahr Schule verlieren würde. Wer so etwas sagt, hat nach meiner Meinung einfach unrecht, liegt komplett falsch und hat den Wert dieses Projektes nicht erkannt! Ich kann nur jedem zum Austauschjahr raten. Nur ein bisschen weltoffen sollte man sein, dann wird man eine wunderbare Zeit haben.

Wie meine Zukunftspläne im Bezug auf Brasilien aussehen, so kann ich nur sagen, dass die innigen Freundschaften, die ich geschlossen habe, mich mein Leben lang begleiten werden und Brasilien immer meine zweite Heimat sein wird. Und natürlich plane ich auch meine Ferien des Öfteren in Brasilien und meiner kleinen Stadt zu verbringen.

Abschließend möchte ich zu meinem Resümee noch hinzufügen, dass ich mich sehr glücklich schätze an diesem Projekt teilhaben zu dürfen, dieses Programm eine gewaltige Bereicherung für mich darstellt und Ihnen in meinem Namen dafür danken, Teil dieses Austauschprogramms gewesen zu sein.

Grüße nun wieder aus Deutschland,

Soeren Oeser.

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